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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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vor der Brust zusammen und bewegte sich auf mich zu. Sie blieb dicht vor mir stehen und musterte mich aufmerksam von oben bis unten. Sie sagte nichts, bis ich einen kleinen Schritt zurückwich. Da hob sie den Kopf.
    »Ich bin mir nicht sicher«, murmelte sie. »Vielleicht, nach einem Bad – und in ein, zwei Jahren … «
    Mein Magen krampfte sich zusammen. Scham und Zorn überkamen mich. Verunsichert trat ich noch weiter zurück. Mirjam griff nach meinem Jackenaufschlag und zog mich zu sich.
    »Bleib hier«, sagte sie leise. »Ich beiße nicht.«
    »Nicht immer«, warf Ezra ein.
    Mirjams Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Ich sah ihre zarten Nasenflügel beben, als unterdrückte sie ein Lachen. Doch nichts geschah. Sie blickte mir nur in die Augen. Ganz sicher, dachte ich, will sie etwas ergründen. Da löste sich meine Spannung plötzlich, denn aus irgendeinem Grund war ich sicher, dass ihr das nicht gelingen würde. Ich bin verschlossen, dachte ich trotzig, verschlossen für dich. Mirjam schien meine Gedanken zu lesen, ließ von mir ab, blieb aber in der Nähe.
    Im Laufe dieses Abends erfuhr ich schließlich den Grund für Ezras Interesse an mir. Die Bar war auch ein Treffpunkt der kommunistischen Jugend, welcher Ezra offenbar nahestand. Jedenfalls besaß er Autorität unter den Leuten, die hierherkamen. Und er war daran interessiert, mehr Anhänger aus allen Schichten der Gesellschaft zu gewinnen. Er forderte mich offen dazu auf, mich ihnen anzuschließen.
    »Warum gerade ich?«
    »Du bist in Ordnung«, sagte Ezra. »Ich habe dich beobachtet.«
    Das war mir unangenehm. Ich wusste über den Kommunismus, dass er gefährlich war wie eine Sekte. Seine Anhänger verachteten die Religion und die Sitten, nichts war ihnen heilig. In der Schule hatte ich gehört, dass sie in Russland ihre Pferde in den Kirchen unterstellten.
    Diese hier wirkten allerdings recht brav. Und trotz all des Geredes über die Macht des einfachen Volkes, schienen sie sich doch eher amüsieren zu wollen.
    Ich stellte mir vor, was wohl mein Vater sagen würde, wüsste er, dass sein Sohn hier inmitten von Müßiggängern stand. Ich sah ihn vor mir, wie er mit einer wegwerfenden Handbewegung alles zum Ausdruck gebracht hätte, was er über diese Leute dachte. Wie er sich das Kinn gekratzt und sie alle verflucht hätte. Er ist ohnehin kein Menschenfreund, sagte ich mir, er liebt Ideen. Unsere Nachbarschaft mit ihrem Geschwätz und den ewig gleichen Sorgen war nur ein Quell des Zorns für ihn, solange ich denken konnte. Nichts, was die Leute sagten oder taten, schien ihn je zufriedenzustellen. Ja, es war, als verfügte er über ein höheres Wissen. Aber woher kam es? Er las nie ein Buch wie etwa jener Junge an einem der hinteren Tische des Cafés. Ich spähte hinüber.
    »Das ist Ephraim«, sagte Ezra, »unser Gelehrter. Willst du ihn kennenlernen?«
    »Ich weiß nicht. Er liest gerade.«
    »Er liest immer.«
    Ezra zog mich mit sich und postierte mich neben dem Tisch. Ephraim schien uns nicht zu bemerken, blätterte sogar um, während er die Zigarettenspitze an die Lippen führte.
    »Dürfen wir kurz stören?«, fragte Ezra in gekünsteltem Tonfall.
    Ephraim hob die Hand mit der Zigarette und ließ sie in der Luft stehen, bevor er sich uns zuwandte. Ich sah in das schmale Gesicht des Jungen und registrierte den aufgesetzt gelangweilten Ausdruck. Die Nickelbrille mit den runden Gläsern sollte ihm wohl das Aussehen eines Revolutionärs geben, doch konnte sie den unsicheren Blick nicht verbergen. Je länger er uns ansah, desto nervöser wurde er. Mit dem Daumen kratzte er sich die buschigen Augenbrauen. Ezra ließ ihn leiden.
    »Was wollt ihr?«, stieß er schließlich hervor.
    »Ich möchte dir Anwar vorstellen.«
    Ephraim nahm die Brille ab und gab mir die Hand.
    »Er hat viel von dir gehört«, sagte Ezra, »und wollte dich unbedingt kennenlernen.«
    Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf Ephraims Gesicht. Doch es war ihm peinlich und so setzte er sich umständlich die Brille auf und griff nach seinem Buch.
    In diesem Moment wurde ich von hinten umschlungen, Mirjams Hände verschränkten sich vor meinem Bauch und ich spürte ihren Atem dicht am Ohr. Vor Schreck wäre ich beinahe vornübergefallen, doch Mirjam hielt mich.
    »Warum so abweisend, Ephraim?« Ihre Stimme drang tief in meinen Gehörgang und kitzelte mich. »Er ist mir bestimmt, habe ich gerade erfahren.«
    Ephraim hob ruckartig den Kopf. Ungläubig glotzte er zu Mirjam. Ich hörte

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