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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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blieb ich stehen und blickte zum Café zurück. Das Licht war noch zu sehen. Der Gedanke umzukehren ging mir nicht aus dem Kopf, doch konnte ich mich nicht dazu entschließen. Also nahm ich einen überwucherten Seitenpfad, übersprang eine Bewässerungsrinne und bewegte mich in weitem Bogen wieder auf das Licht zu.
    »Du streunst herum wie ein herrenloser Hund. Suchst oder fliehst du uns?«
    Es war Mirjams Stimme, die mich aus der Dunkelheit aufschreckte und ein weiteres Mal erstarren ließ. Wie kann sie mich gefunden haben?, war mein erster Gedanke. Verfügte diese Frau über Kräfte, von denen ich nichts ahnte? Ich wartete, bis sie bei mir war, dann jedoch begann ich jeden Schritt zurückzuweichen, um den sie sich näherte.
    »Was ist los?«, stieß sie ungeduldig hervor. »Willst du mich hier stehenlassen?« Sie hob den Kopf auf eine Weise, die mir eingeübt erschien.
    Hier draußen wirkte sie härter als im Café. Ich kniff die Augen zusammen, um ihr Gesicht besser sehen zu können. Mirjam blickte mich nur an und schwieg. Da wandte ich mich rasch um und lief davon.

3.
    T age später ging ich mit Ezra am Bahndamm entlang. Nicht weit vom grünen Viertel Bagdads hatte der Fluss die Wüste in trostloses Marschland verwandelt, welches der Bahndamm wie eine Narbe durchschnitt. Eigentlich hatte ich versucht, meinem neuen Freund auszuweichen, so sehr genierte ich mich vor Ezra für meine kindische Flucht aus dem Café. Doch es war mir nicht gelungen. Vielleicht ahnte Ezra etwas von meinem Seelenzustand, vielleicht war alles auch nur ein Zufall gewesen – wir begegneten einander, diesmal nicht auf der Rashid-Straße, sondern ganz in der Nähe meines Elternhauses. Das war ungewöhnlich, denn ich hatte Ezra nie in dieser Gegend der Stadt gesehen. Doch ließ ich es bei meinem Verdacht bewenden. Wir waren uns schon zu nahe für nachforschendes Fragen; ohne mein Zutun, wie ich glaubte, waren wir zu einer stillen Übereinkunft gekommen: Wenn er erschien, führte Ezra mich in die Welt hinaus und ich ließ es mit mir geschehen.
    Seit geraumer Zeit hatte Ezra kein Wort gesagt. Das war nicht sein übliches vielsagendes Schweigen, sondern echte Wortkargheit beim Anblick der Weite, die sich vor uns auftat. Der helle Sand staubte bei jedem unserer Schritte auf. Die Hitze des Nachmittags war betäubend, beide verfielen wir in dumpfes Umherschauen.
    Die Ebene jenseits des Damms war im Laufe der Zeit besiedelt worden. Anfangs waren es nur einzelne, hastig zusammengezimmerte Hütten gewesen. Nach und nach aber kamen immer mehr arme Leute aus dem Süden des Landes hierher. Alle trieb die Hoffnung auf ein besseres Leben in die Nähe der großen Stadt. Die Kunde von diesem elenden Ort schien sich verbreitet zu haben, obwohl jeder, der hierherwollte, wissen musste, dass er dazu verdammt war, jenseits der Stadtmauer zu bleiben.
    Wir erklommen den Bahndamm und blickten den blanken, in der Sonne glänzenden Schienenstrang entlang. Dort, in der Ferne des verschwimmenden Horizontes, lag der Norden, die Stadt Kirkuk, in deren Nähe vor nicht allzu langer Zeit riesige Ölvorkommen entdeckt worden waren. Dort lag die Zukunft des Landes.
    Schweigend gingen wir in diese Richtung, setzten jeden Schritt auf die nächste Schwelle und vergaßen die Hitze dabei. Nach einer Weile schauten wir zurück und bestaunten unsere Stadt, die sich mehr und mehr niederzuducken schien. Die höchsten Häuser und selbst noch die sandfarbenen Minarette fanden keinen Halt mehr in der Erde und sanken vor unseren Augen in den Staub. Hinter uns ertönte das Signal des Zuges, und wie ein Phantom schälte sich die Lokomotive aus dem Dunst, ihr Dampf strömte in die Höhe, stürzte über den Tender, barst auf den Dächern der Waggons und wirbelte den Bahndamm hinab.
    Wir standen still, rasch stampfte das Ungeheuer heran und wieder durschnitt die Luft ein langgezogener Signalpfiff. Dicht über den Gleisen raste der rote Kuhfänger auf uns zu. Wir sprangen zur Seite, rannten mit dem Zug um die Wette, es war, als würden mir die stählernen Räder und ihre gewaltigen Treibstangen etwas von ihrer Kraft geben, für Sekunden wurde ich unaufhaltsam wie sie, auch wenn mir der Dampf den Atem nahm. Ezra ging es ebenso, denn er blieb dicht hinter mir, bis ich die Metallstufen einer Waggontür erreichte, aufsprang und die Türklinke packte. Ich wandte mich um, sah Ezra zurückbleiben und streckte die Hand nach ihm aus. Es war diese Geste, die ihn schneller laufen ließ, ihn zu mir zog. Was

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