1542 - Die Würgehand
»Man kennt nicht mal die genaue Zahl - oder?«
»Stimmt, Sam, die kennt man nicht. Zugegeben hat er zehn oder zwölf Taten. So genau weiß ich das auch nicht. Man sagt ihm sogar übernatürliche Kräfte nach, die ihm von irgendwelchen Geistern gegeben worden sein sollen. Aber daran glaube ich nicht. Wenn Menschen mit anderen Probleme haben, kommen sie oft auf derartige Ideen, um für ihr eigenes Versagen Entschuldigungen zu suchen.«
»Das hört sich wirklich nicht gut an«, sagte Obrach.
»Das ist auch nicht gut.«
»Aber bald ist er weg.«
»Zum Glück.«
Sam Obrach verzog das Gesicht. »Aber noch haben wir ihn am Hals. Wir müssen ihn in die Festung fahren.«
»Ja, da ist er sicher. Es hat noch niemand geschafft, von dort auszubrechen. Da kann Chikaze würgen wie er will, diese dicken Mauern halten ihn auf.«
Obrach schaute auf die Uhr. »Wie lange sind wir noch unterwegs?«
»Keine Ahnung. Normalerweise noch eine halbe Stunde. Kommt auf das Wetter an.«
»Wir haben November und keinen Sommer.«
Fenton grinste schief. »Ich weiß.«
Die Männer brauchten über das Wetter nicht groß zu reden. Ein Blick nach vorn reichte aus. Die Wolken hingen tief und aus ihnen fiel eine Mischung aus Regen, Schnee und Hagel. Immer wieder fuhren sie in die Schauer hinein, die so dicht waren, dass die starken Scheinwerfer sie kaum durchdringen konnten. Es war ein Vorhang, der kaum abreißen wollte.
Die Hagelkörner und Regentropfen schlugen gegen die Windschutzscheibe, dass es sich anhörte wie ein wilder Trommelwirbel. Dicht über dem Boden, bevor die kleinen Eiskörner aufprallten, strahlten sie noch mal gelblich auf, um wenig später zu zerplatzen.
Die Fahrbahn war glatt geworden.
Steve Fenton musste seine ganze Aufmerksamkeit darauf verwenden, den Wagen in der Spur zu halten. Hinzu kamen die Kurven, die sie fahren mussten, und das durch eine Landschaft, die sehr einsam war.
Es gab in der Nähe keine Stadt. Nicht einmal ein Dorf oder eine kleine Ansiedlung. Nur eben die große Einsamkeit, in der auch ihr Ziel lag.
Die Festung war ein Komplex, in dem nur die schlimmsten Verbrecher eingesperrt wurden. Es hatte wohl schon Fluchtversuche gegeben, aber entkommen war den Mauern noch niemand!
Wer hinter den Mauern sein Leben fristete, das wussten die beiden Fahrer des Transporters nicht. Sie waren allerdings froh, dass es derartige Orte gab, denn ein Mensch wie Chikaze hatte für den Rest seines Lebens nichts anderes verdient.
Er hockte im Laderaum und war natürlich gefesselt. Hände und Beine konnte er nur so weit bewegen, wie auch die Ketten reichten. Mit einer dritten war der Halbindianer an einen Haken in der Wand gebunden worden Aus eigener Kraft würde es ihm nicht möglich sein, wieder freizukommen.
Dennoch hatten beide Männer ein ungutes Gefühl. So war es immer.
Wenn sie Gefangene transportierten, bedeutete das Druck und Stress.
Erst wenn sie hinter den dicken Mauern verschwunden waren, konnten sie aufatmen.
Es war für sie an diesem Tag nicht alles glatt verlaufen. Sie hatten damit gerechnet, das Ziel früher zu erreichen. Aufgrund der schlechten Wetterbedingungen waren sie gezwungen gewesen, langsamer zu fahren.
»Hast du mal mit ihm gesprochen, Steve?«
»Nein. Das will ich auch nicht. Nicht nur seine Opfer haben bei seinem Erscheinen Angst vor ihm bekommen. Wenn du ihn ansiehst, dann musst du dich einfach fürchten. Ich habe ihn gesehen. Für mich ist dieser Mensch eine Waffe.«
»Wie?«
»Ja, er selbst. Er ist eine Waffe. Und dazu muss er keine Pistole in der Hand halten.«
»Und seine Hände? Wie sehen die aus?«
Fenton lachte leise. »Ja, die habe ich mir auch angeschaut. Sie sahen normal aus, völlig normal. Kann sein, dass die Finger ein wenig länger gewesen sind als gewöhnlich, aber das ist auch alles. Chikaze hat Blut an seinen Händen, aber es tropft nicht herab. Das kannst du nur in übertragenem Sinne sehen.«
»Und wir machen den Job.«
»Genau, Sam.«
»Und du hast nie darüber nachgedacht, dass jemand versuchen könnte, den Typ zu befreien?«
Steve Fenton sagte zunächst nichts, sondern schüttelte nur den Kopf.
Schließlich sagte er jedoch: »Wer sollte ihn denn befreien wollen? Die Menschen sind doch froh, dass er nicht mehr unterwegs ist.«
»Ich weiß es nicht. Es ist mir auch nur so in den Kopf gekommen.«
»Er hatte keine Freunde. Er hatte auch keinen Partner, mit dem er unterwegs war. Dass ihn jemand befreien will, kannst du dir abschminken. Dieser Chikaze ist ein
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