Ein weißes Land
Holzbrücke, die, wenn auch klein, selbst aus der Ferne so solide konstruiert erschien, so passgenau eine gepflasterte Straße über das Flüsschen verlängerte, dass es uns in Erstaunen versetzte. Zu beiden Seiten der Brücke standen Hinweisschilder, auf dem zu uns weisenden war selbst die Schrift akkurat über die Fläche verteilt; ein ungewohnter Anblick für mich, den Doktor aber versetzte er in Euphorie.
»Siehst du das? Es gibt noch immer eine Ordnung, wir haben diesem Land auch etwas gegeben. Siehst du die Straße? Wir haben das gebaut, wie so vieles andere. Das alles ist unser Werk, wir haben Jahre dafür gebraucht und jetzt wird es zerstört, weil es nicht sein darf, weil große Mächte es anders wollen.« Er hatte sich verausgabt und stützte die Hände auf die Knie.
Ich hätte ihm sagen können, dass auch ich nicht nur Menschen umgebracht, sondern wirklich gearbeitet hatte in den zurückliegenden Jahren, dass ich geschanzt, gezimmert, gegraben, geschleppt und geschoben hatte und in der Sappe herumgekrochen bin bei Temperaturen, gegen die das hier der reinste Frühling war. Und dass ich den Granatwerfer, für den ich ausgebildet wurde, vielleicht fünfmal bedient hatte, während mein wahres Werkzeug nicht einmal das Gewehr, sondern der Feldspaten war. Das alles, hätte ich ihm gern gesagt, für magere freie Kost und Quartier in kalten Unterständen, verlassenen Bauernhäusern, unter Fuhrwerken, in Zügen, verlausten Baracken und unter freiem Himmel. Billiger hätten wir alle unsere Haut kaum verkaufen können. Doch ich schwieg.
Auf der Straße näherten sich die matten Scheinwerfer mehrerer Wagen. Der Doktor zog mich zu sich. Er war jetzt ruhiger, doch die Furcht ließ ihn schwitzen. Wir stolperten ein paar Schritte auf den Transporter zu, warfen uns oberhalb des Straßengrabens aber schließlich doch zu Boden. Die Erde unter dem Schnee war klebrig, dem Doktor hing sie an Mund und Kinn, so tief hatte er sich in sie geduckt.
»Ist er das?«, flüsterte er.
Die Kolonne bestand aus mehreren Kübelwagen und einem unbeleuchteten Befehlswagen, den ich nur schwer ausmachen konnte. Sie hielten bei unserem Transporter und zunächst rührte sich nichts.
»Wer sind die?«
»Es könnte Wehrmacht sein«, sagte ich, um ihn etwas zu beruhigen.
Unsere Kranken standen brav aufgereiht am Straßenrand und der Fahrer ging mit vorgestreckten Händen auf die Kolonne zu. Nach einigen Schritten aber blieb er stehen, als hätte er es sich anders überlegt. Wieder geschah ein paar Sekunden lang nichts.
»Mein Gott, was wollen die?«
Die Tür des Befehlswagens wurde geöffnet und ein Offizier stieg aus. Er raffte den offenen Mantel zusammen und schlug den Kragen hoch, bevor er auf unseren Mann zuging. Überraschenderweise begrüßten sie sich ohne jede Förmlichkeit mit Händedruck, als wären sie alte Bekannte. Sie sprachen leise miteinander, am Ende wies der Fahrer in unsere Richtung.
»Er ist es nicht«, sagte ich und stand auf. »Wir müssen zu ihm gehen, sonst wird alles nur noch schlimmer.«
Wir begegneten einem äußerst korrekten Hauptmann, der erleichtert schien, nur uns hier anzutreffen. Dr. Stein schilderte ihm unsere Lage und da der Fahrer und sein Helfer mit dem Reifenwechsel so gut wie fertig waren, erbot sich der Hauptmann, uns zu geleiten. Der Doktor durfte sogar zu ihm in den Befehlswagen steigen; neidisch blickte ich den beiden nach. Auf der Ladefläche, als die Fahrt endlich fortgesetzt wurde, war ich diesem Deutschen in seiner sauberen Uniform auf kindliche Weise dankbar.
Obwohl es bereits Januar war, konnte man in manchen beleuchteten Fenstern am Wege noch geschmückte Tannenzweige sehen. Der Anblick stimmte uns alle friedlich, und als endlich Dresden in Sicht kam, steigerte sich dieses Gefühl zu tiefer Erleichterung, so als hätten wir mit dem Erreichen der Stadt den ganzen Krieg hinter uns gelassen. Wir waren wider Erwarten gut durchgekommen und standen so kurz vor dem Ende der Reise, dass eine seltsame, wortlose Euphorie ausbrach. Zwar hatten wir auch Flüchtlingstrecks passiert, endlose Reihen plumper Fuhrwerke, beladen mit aufgetürmtem Hausrat, mit Töpfen und sogar Würsten behängt. In Decken gehüllte Frauen und Kinder hatten uns nachgeschaut in einer Mischung aus Erschöpfung und Erstaunen. Doch der Anblick einer so schönen und unzerstörten Stadt wie Dresden verschlug uns allen nun doch den Atem, auch wenn wir sie nur durch die offene Plane sehen konnten.
Auf einer der Elbbrücken
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