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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Menschen. Vergeblich versuchte ich mir vorzustellen, dass der Sekretär die zurückliegende Zeit in diesen Räumen verbracht hatte, während ich Menschen jagte.
    »Es ist vorbei«, sagte Abu Hashim leise.
    Ich nickte. »Gibt es einen Weg zurück?«
    »Inschallah«, erwiderte Mr. Otto und wies andeutungsweise zum Himmel.
    Ich hatte diese Geste so lange schon nicht mehr gesehen, dass ich unwillkürlich dort hinaufblickte. Gerade öffnete sich die Wolkendecke und in diesem leuchtenden Riss wurde der tiefe stahlblaue Luftraum sichtbar, und für einen langen Moment stand er offen, doch unbemerkt über der Stadt.

Der einsame Deutsche 2

1.
    I ch hatte den Doktor also wiedergefunden, doch kurz darauf drohte ich ihn erneut zu verlieren. Die Frau verließ ihn zum zweiten Mal, wieder blieben die Fenster verhängt, wieder erschien der Doktor nicht im Krankenhaus.
    Diesmal aber bekam ich eine Nachricht von Nidal, der inzwischen ein wichtiger Mann im Militärgeheimdienst geworden ist. Er residiert in einem festungsartigen Neubau, den ich erst einmal betreten habe, bleibt aber auf seine Weise mit mir in Kontakt: Von Zeit zu Zeit informierte er mich über ein paar bedeutungslose Ereignisse im Land, nur um mich wissen zu lassen, dass ich ihm weiterhin zur Verfügung zu stehen habe. Es ist wie eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen uns, seit ich damals mit der Nachricht vom Tod seines Sohnes zu ihm kam. Ich war nicht sicher, ob er wirklich trauerte, sein helles Gesicht verdunkelte sich und kurz wandte er sich ab und blickte aus dem Fenster seines zu jener Zeit noch kleinen Büros in Adhamiyah. Feierlich übergab ich ihm die Nahkampfspange, erzählte von Fadil, wie er ganz allein und unerschrocken Barrikaden stürmte, doch Nidal hob die Hand und ließ mich verstummen.
    »Es ist nicht nötig, dass du mir solche Geschichten erzählst. Und diesen Orden da kannst du auch wieder mitnehmen. Ich weiß, du meinst es gut. Aber dein Auftrag war, ihn zu beschützen.«
    Er fuhr herum und legte beide Hände auf den Schreibtisch.
    Natürlich versuchte ich ihm zu erklären, wie schwer es zuweilen war, diesen Auftrag auszuführen. Nidal war der einzige Mensch in Bagdad, der mir wirklich helfen konnte, ein neues Leben zu beginnen, im Grunde auch der Einzige, der mir noch nahestand. Mein Vater war verschwunden und niemand konnte mir sagen, wohin er gegangen war. Er hatte nichts hinterlassen, das Haus stand für zwei Jahre leer, dann hatten es seine Schwestern vermietet. Diese schworen, nichts über seinen Verbleib zu wissen, und so nahm ich an, dass er möglicherweise mit allem, was hinter ihm lag, brechen wollte – ein Gedanke, der mir nicht fremd war.
    Nidal kümmerte sich um mich, trotz meiner Entstellung, sorgte dafür, dass ich ein Haus und Arbeit bekam, und behielt mich im Auge. Vielleicht sah er in mir so etwas wie einen Ersatz für seinen verlorenen ältesten Sohn, zumindest aber glaubte er mir, dass ich bis zum letzten Moment bei ihm gewesen war. Das verband uns ebenso wie meine Dankbarkeit für seine Fürsorge.
    Als ich nun die Nachricht von ihm bekam, er wolle mich sehen in einer dringenden Angelegenheit, die den Doktor betreffe, reimte ich mir die unvermutete Begegnung mit dem Mann aus Europa anders als bisher zusammen. Zwar hatte mir die Stadtverwaltung den Auftrag gegeben, ihm als Bote zu dienen. Das jedoch war ganz sicher kein Zufall gewesen, ebenso wie die überraschende Lage seiner Wohnung meinem Haus gegenüber.
    Ich hätte es ahnen können, doch meine Trägheit hatte mich unaufmerksam werden lassen. Warum sollte ein ehemaliger Angehöriger der SS hierherkommen und völlig unbehelligt seiner Tätigkeit nachgehen? Von Nidal hatte ich gelernt, dass es in diesem Land nichts gibt, was nicht politisch ist. Er hatte mir beigebracht, auf das Wesentliche hinter den scheinbaren Veränderungen zu achten: Was 1941 richtig war, galt auch 1955 noch. Viel war geschehen in dieser Zeit, das Dritte Reich war untergegangen, die Juden hatten ihren Staat bekommen und alles sprach dafür, dass das einst so mächtige Empire seinem Ende entgegenging. Noch immer konspirierte Nidal mit anderen Militärs, diesmal gegen unseren neuen König, noch immer brauchte er zuverlässige Leute um sich. Jetzt aber schien, zumindest in meinen Augen, die Welt viel größer geworden zu sein: Der Bolschewismus, gegen den ich in Schneewüsten und Städten gekämpft hatte, war durch seinen Sieg in Europa zu einer gewaltigen Macht geworden, zu einer Supermacht. Wo wir

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