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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Feldlazarett. Aber, obwohl es anders aussah, war dein Zustand besser als der von vielen. Wie auch immer, jetzt, wo all das aus dir heraus ist, sollten wir die Vergangenheit ruhen lassen und in die Zukunft schauen.«
    Seine Augen tränten und er wirkte nervös, als er das sagte, seine Beine unter der Decke bewegten sich unablässig. Ich begriff, dass er die nächste Injektion brauchte und es nicht mehr lange aushalten würde. Der Transporter schleppte sich durch Felder und Waldstücke, einzelne schwarze Furchen durchzogen die Äcker, dann wieder rieselte der Schnee herab auf die Ladefläche, wenn wir das dichte, überhängende Gehölz passierten. Ich empfand die Kälte nicht so stark wie der Doktor und seine vermummten Patienten, ich war Schlimmeres gewöhnt. Es war mir ein Rätsel, warum er nicht vorn im Führerhaus bei einem seiner Kollegen saß; vielleicht lag es an der kleinen Tasche, die er bei sich hielt, als müsse er sie beschützen.
    Der Blick hinaus in die Waldlandschaft, die immer wieder in weite Ebenen überging, auf einsame Bauernhäuser und uralte Gemäuer, auf bedrohlich aufragende Baumgruppen und die vor dem Nachthimmel exakten Bögen kahler, weißer Hügel weckte meinen alten Instinkt für die Gefahr. Etwas stimmte nicht mit dieser Landschaft, zu ruhig, zu abgeschieden war sie so dicht vor der sich unaufhaltsam voranfressenden Front. Ich kramte in meiner noch immer lückenhaften Erinnerung, versuchte vergeblich, mich auf die letzten Informationen zu besinnen, die mir zugetragen wurden. Schließlich fragte ich den Doktor nach den jüngsten Meldungen von der Front und ob es irgendwo einen weiteren Aufstand gegeben hatte. Da wir sehr laut sprechen mussten, hörten uns die Verletzten zu und Willy meldete sich zu Wort:
    »In der Slowakei. Partisanen.«
    »Wann war das?«, hakte ich nach.
    »Ist schon ein paar Wochen her«, mischte sich ein Zweiter ein, »könnte aber noch im Gange sein. Oder sie haben aufgeräumt.«
    »Wer?«
    »Die aus Warschau.«
    »Warum willst du das alles wissen?«, warf der Doktor unwirsch ein.
    Stärker als zuvor quälte ihn seine Unruhe, er warf den Kopf hin und her und rieb sich die Hände.
    »Er könnte hier sein«, sagte ich und blickte wieder hinaus.
    »Wer, zum Teufel?«
    »Dirlewanger. Wenn er uns so erwischt, ohne Papiere und Uniformen, wird er uns hängen.«
    »Standgericht«, stieß Willy hervor.
    Dr. Stein war wieder hellwach.
    »Befugt wäre er«, flüsterte er vor sich hin und die Angst stand ihm ins blasse Gesicht geschrieben.
    »Und er tut das gern«, gab ich zu bedenken.
    »Warum sollte ausgerechnet er hier sein?«
    »Es war unsere Art von Einsatz. Und wenn er fertig ist, wird er vielleicht nach Dresden ziehen. Alle ziehen doch nach Dresden«, sprach ich aus, was der Doktor längst wusste.
    »Wann genau war dieser Aufstand?«, fuhr er den zweiten der Verwundeten an.
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete dieser erschrocken, »es war so eine Geschichte, die rumging … Vor ein paar Monaten.«
    »Wann genau?«
    »Ich weiß es nicht.« Der Mann war am Ende seiner Kräfte.
    Dr. Stein ließ sich zurückfallen und starrte vor sich hin. »Wahrscheinlich ist er längst durch.«
    In diesem Moment ruckte der Transporter, als hätte ihn ein Schlag getroffen. Er rumpelte noch ein paar Meter weiter und blieb dann stehen. Der Wagen hinter uns bremste spät, der Kühler kam Zentimeter vor unserem Heck zum Stehen. Sofort sprang Dr. Stein auf, er gestikulierte stumm, als hätte er seine Glieder nicht mehr unter Kontrolle. Schultheiss und sein Fahrer kamen heran und begutachteten die Vorderreifen.
    »Was ist los?«, bellte der Doktor, ließ sogar die Tasche liegen, um umständlich an der Ladeklappe zu hantieren, bis ich ihm half, sie zu öffnen.
    Ich folgte ihm, sprang auf die Straße hinunter und streckte die Arme aus. Auch unser Fahrer kletterte nun kopfschüttelnd aus dem Führerhaus. Unter dem Wagen ragte ein großes Metallstück hervor; es sah aus, als wäre es teilweise geschmolzen.
    »Ihr habt einen Plattfuß«, sagte Schultheiss.
    Er und die Fahrer steckten sich Zigaretten an.
    »Das hätten die Schweine uns ja auch aus dem Weg räumen können«, ereiferte sich Dr. Stein.
    Verwundert über seinen Ausbruch betrachteten ihn die Umstehenden. Er bemerkte es und fügte ruhiger hinzu:
    »Haben wir einen Ersatzreifen?«
    Unser Fahrer nickte, zog gelassen an seiner Zigarette und brummte:
    »Die Herrschaften haben das besser sehen können in ihren Limousinen. Die sind da rüber wie nichts

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