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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sie nicht überstürzt verlassen. Auf dem großen Holzbett lagen ein paar Zeitungen und die Bücher in seinem kleinen Regal waren umgestürzt. Ich inspizierte das Schlafzimmer, trat an den Kleiderschrank und öffnete ihn. Zwei alte Anzüge und einige bunte Hemden waren noch da, unten stand ein Paar Schuhe, ausgetreten und staubbedeckt. Noch immer war mir nicht klar, ob er wirklich abgereist war. Er hatte jede Menge Zeug hinterlassen, nur die Frau schien niemals da gewesen zu sein. Die Blumenvase war leer und das Bett glattgestrichen wie mittags in einem Hotel.
    Wieder im Wohnzimmer setzte ich mich in einen der Korbstühle und überlegte, wonach ich suchen könnte. Es schien mir undenkbar, dass der Doktor, ohne ein Zeichen zu hinterlassen, verschwunden sein sollte.
    Mir fiel die gerahmte Fotografie ein, für die er keinen Platz gefunden hatte, als er eingezogen war. Ich öffnete einen kleinen Wandschrank und kramte darin herum, bis ich sie tatsächlich gefunden hatte. Doch sie war eine Enttäuschung: Sie zeigte nur eine Berglandschaft mit einer Almhütte davor, vielleicht aus einem früheren Leben meines Retters, einer Zeit, die mit mir nichts zu tun hatte.
    Ich eigne mich einfach nicht zum Detektiv, dachte ich, warf das Bild auf den Tisch und betrachtete wieder den Zeitungsstapel. Nachlässig schaute ich ihn durch, bis ich auf ein aufgeklapptes Exemplar des amerikanischen »Life«-Magazins stieß. Die Seite zeigte das Foto eines schönen Hauses mit Reetdach, davor schob ein Mann in dunklem Mantel mit Fellkragen sein Fahrrad durch das Gartentor hinaus. Handschriftlich hatte jemand auf die Magazinseite geschrieben: »Ein alter Bekannter!«
    Sofort versuchte ich die Bildunterschrift zu lesen, und obwohl sie in Englisch war, genügte mir der Name Reinefarth, um zu wissen, dass ich das Zeichen des Doktors gefunden hatte. Das Bild war knapp zwei Jahre alt und, soweit ich es entziffern konnte, beschrieb es den abgebildeten Mann als Bürgermeister einer deutschen Gemeinde.
    Kurz musste ich durchatmen und die plötzlich in mir aufsteigenden Bilder unterdrücken. Dazu ging ich auf den Balkon hinaus und schaute die Gasse entlang. Dieser Doktor, dachte ich, ist mir überlegen, er hat mich in eine Falle gelockt, nur um mir zu zeigen, wer hier die Fäden in der Hand hält. Wozu diese Spielerei? Wollte er quälende Erinnerungen in mir wachrufen oder mich sogar verstricken in etwas, das mit all dem zu tun hatte, was ich vergessen wollte?
    Der Mann, der damals in Warschau unseren Einsatz kommandiert hatte, sah jedenfalls höchst lebendig aus und schien auch keinerlei Verfolgung fürchten zu müssen. Das neue Deutschland, namentlich der westliche Teil, wertschätzte ihn oder hatte zumindest anerkannt, was Müller-Abig uns so oft gesagt hatte: dass der Krieg nicht mehr ist als ein Handwerk.

2.
    E s war nicht leicht für mich, der Aufforderung Nidals zu folgen und in sein Büro am anderen Ende der Stadt zu fahren. Ein Mann wie ich, der seit Jahren nur zu Fuß geht, wenig schläft und die Nächte zu seiner Behausung gemacht hat, fürchtet sich vor dem alltäglichen Leben im gleißenden Tageslicht. Die Stadt hat sich sehr verändert, in den letzten Jahren sind nicht nur fast alle Brücken, Plätze und wichtigen Straßen umbenannt worden, inzwischen bevölkern auch so viel mehr Menschen die Straßen, dass man meinen könnte, Ezras Vision damals am Bahndamm sei Wirklichkeit geworden. Es wird auch viel gebaut, mehrstöckige Häuser schießen überall in der Stadt empor und auf den Schildern von Büros, Werkstätten und sogar Restaurants sind fremdartige Namen zu lesen. Der Ölreichtum des Landes wird überall sichtbar.
    Ja, die Welt hat sich verändert, sogar hier in dieser Stadt, wo zu meiner Jugend trotz all der Erfindungen, die uns nach und nach erreichten, die Zeit stillzustehen schien. Inzwischen gibt es so viele Autos, dass man vorsichtig sein muss, wenn man über die Straße geht, und im Radio hört man von erstaunlichen Waffen, die jeden neuen Krieg unsinnig erscheinen lassen, es sei denn, man einigt sich zuvor darauf, sie nicht zu benutzen.
    Ich nahm ein Taxi und fuhr hinaus in das grüne Viertel, an den Ort meiner einstigen jugendlichen Sehnsüchte. Noch immer herrscht dort friedliche Abgeschiedenheit, mächtige Platanen beschatten Häuser und Straßen, und in den großen Gärten sind nur vereinzelte Arbeiter zu sehen, die Lehmziegel formen, um damit die langen Umfriedungsmauern auszubessern.
    Nidals Büro liegt in einem

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