Level 4 07 - 2049
Ein unglaubliches Angebot
Miriam schüttelte die Barbie-Puppe, als handelte es sich um einen Milch-Shake. Das Ergebnis blieb das gleiche. Sie war leer.
»Das gibt es doch nicht!«, brabbelte Miriam, während sie die Puppe noch mal kräftig schüttelte.
Erst hatte sie es ja für ein gutes Zeichen gehalten, dass kein Klimpern zu hören war, und gehofft, die Barbie-Puppe enthielte statt Münzen einige Scheine. Doch auch davon keine Spur. Verzweifelt betrachtete Miriam ihre Spardose.
Schon lange hegte Miriam den Wunsch, Kriminalkommissarin der Mordkommission zu werden. Um sich schon mal auf die Widrigkeiten dieses schwierigen Berufes einzustellen, war sie eines Tages auf die Idee gekommen, an der Obduktion einer Leiche teilzunehmen. Da es für ein Kind natürlich unmöglich ist, so etwas mitzuverfolgen – und das Fernsehen damals noch keine Obduktionen im Nachtprogramm übertrug – hatte die Barbie-Puppe dran glauben müssen. Miriam hatte ihr Taschenmesser geschärft, das in Plastik gegossene Vorbild so mancher Fernseh-Moderatorin vom Hals bis zum Bauchnabel aufgeschnitten und festgestellt, dass die Puppe innen hohl war.
Barbie war fortan weder zum Spielen noch zum Verkauf auf dem Flohmarkt zu gebrauchen. Und so war Miriam schließlich auf die Idee gekommen, das Spielzeugeinem neuen Zweck zuzuführen. Aufgebahrt auf einer alten Keksdose, zugedeckt mit einem Leichentuch, welches in Wirklichkeit ein weißes Taschentuch war, diente das Kunststoff-Super-Modell mit seinem aufgeschnittenen Bauch seitdem als makabre Spardose.
So sehr Miriam jetzt aber das Innere ihrer obduzierten Plastik-Leiche betrachtete, sie war einfach leer. Miriam konnte es drehen und wenden, wie sie wollte: Sie war pleite! Und das am 13. des Monats! Bis zur Auszahlung des nächsten Taschengeldes standen noch zwei Besuche der nahe gelegenen Kirchendisco bevor, ebenso wie Omas Geburtstag und täglich rechnete Miriam mit dem Erscheinen der neuen CD ihrer Lieblingsgruppe. Von den täglichen Kleinausgaben ganz zu schweigen. Alles in allem fehlten ihr mindestens 60 Mark Genau 20 Mark mehr, als sie im folgenden Monat an Taschengeld bekommen würde, womit die totale Pleite schon für die nächsten eineinhalb Monate programmiert war.
Es war Miriam schleierhaft, wie man mit so wenig Geld auskommen sollte.
Jennifer, ihre beste Freundin, bekam genauso viel Taschengeld, aber die hatte am Ende des Monats immer etwas übrig. Schon oft hatte Miriam sie gefragt, wie sie das bloß anstellte, aber Jennifer hatte daraufhin jedes Mal nur mit den Schultern gezuckt und geantwortet: »Ich weiß es auch nicht. Ich kaufe mir halt nicht so viel wie du!«
Das war vielleicht ein toller Hinweis! Und so etwasvon der besten Freundin! Da hätte sie ebenso gut ihren Vater fragen können!
Aber alles Nörgeln und Grübeln half nichts. Miriam musste etwas unternehmen. Aber was? Sie legte ihre Barbie-Spardosen-Puppe zurück auf den Operationstisch und deckte sie ordnungsgemäß mit dem Leichentaschentuch zu.
»Tja, Mädchen!«, murmelte sie. »Leider bist du schon ausgequetscht bis auf den letzten Blutstropfen!«
Das hätte sich dieses Schicki-Micki-Modell sicher auch nie träumen lassen, dachte Miriam noch, als sie über ihren eigenen Gedanken stolperte.
Blutstropfen?
Gab es nicht so etwas wie Blutspenden? Dafür bekam man doch Geld, glaubte Miriam mal gehört zu haben. Und gar nicht mal so wenig. Irgendwie summte ihr etwas von 50 oder 60 Mark durch den Kopf. Und selbst wenn es nur 30 Mark wären: besser als nichts. Für so ein bisschen Blut.
Ob Kinder das überhaupt durften? Wieso nicht? Schließlich brauchten die Krankenhäuser doch bestimmt auch Kinderblut; nicht nur die Nikotin und Alkohol verseuchte Brühe der Erwachsenen! Das wäre ja noch schöner!
Miriam fragte sich, wo sie sich erkundigen konnte, und erinnerte sich, dass sie schon mal Anzeigen in der Zeitung gesehen hatte, die um Blutspender warben.
Sie hatte diesen Gedanken noch nicht mal richtig zu Ende gedacht, da war sie schon ins Wohnzimmer ihrer Eltern geflitzt, hatte sich auf den Altpapierkorb gestürzt und die Zeitungen der letzten vier Tage herausgekramt.
Aufgeregt blätterte sie die Anzeigenseiten durch. Himmel, was es da alles gab! Eine ganze Rubrik Gesundheitsdienste, unter denen aber ausschließlich Massagen von Masseurinnen angeboten wurden, die ausnahmslos auch ihr Alter angegeben hatten, wobei keine älter als fünfundzwanzig war. Miriam ahnte, dass man diese Massagen nicht auf Krankenschein bekam.
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