Ein Winter mit Baudelaire
Hurendreck!«, entfährt es Ahmed schließlich, wofür er sich bei Fatima schnell mit einer Geste entschuldigt.
»Brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagt sie. »Ich bin ganz deiner Meinung.«
»Der Tierarzt hat getan, was er konnte«, bemerkt Philippe. »Aber die Entscheidung liegt halt nicht bei ihm allein …«
Die Gruppe verschanzt sich wieder hinter einer Mauer des Schweigens.
»Mit der Ratenzahlung hätten wir’s hingekriegt …«, sagt Bébère nach einer Weile. »Aber so … Selbst wenn wir alle zusammenlegen …«
»Ich weiß«, antwortet Philippe. »Aber das hätte ich sowieso nicht zugelassen.«
Für einen Augenblick herrscht wieder Stille.
»Nein«, fängt Philippe nochmals an. »Ich muss einfach einen Job finden … Leicht gesagt: einfach … Und dann eine Wohnung … Die Leiterin von Le Fleuron gibt mir noch eine Woche mehr an Bord, aber danach … Und während der Behandlung mit Baudelaire draußen schlafen …«
Seine Finger trommeln nervös auf den Tisch.
»Immer dieser elende Teufelskreis«, fährt er fort. »Kein Job, keine Wohnung, keine Wohnung, kein Job …«
Er hält inne.
»Und dann auch noch der Zeitdruck … Sollte ich wirklich einen Job finden, werde ich frühestens in zwei, drei Monaten anfangen … wenn alles gut läuft … Und bis dahin …«
Er betrachtet Baudelaire. Der bellt ihn freundlich an und trabt zu ihm, um sich an seine Beine zu schmiegen.
»Wir müssen nachdenken«, wirft Bébère ein. »Wir müssen nachdenken …«
»Ich muss Geld auftreiben«, sagt Philippe entschlossen. »Wenigstens für die ersten zwölf Bestrahlungen … erst mal Zeit gewinnen … Immer das Problem mit der Zeit!«
Sein Blick irrt durch die Küche, bis sich seine und Fatimas Augen begegnen. Mit einem unmerklichen Schulterzucken wendet sie den Kopf ab, zieht ihre Schürze aus und führt Bébère und Ahmed nach draußen.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, protestiert Bébère. »Los, los, fialkharj !«
Baudelaire sieht der Gruppe nach und wendet sich wieder zu Philippe, der regungslos sitzen geblieben ist. Er winkt den Hund zu sich. Während Fatima das rote Holztörchen hinter sich zuzieht, wirft sie Philippe einen vielsagenden Blick zu, dann verschwindet sie im Dunkel des Hofs.
Philippe steht auf und geht mit Baudelaire im Schlepptau zu dem Telefon, das im Regal unter Bébères Büchern steht. Einen Moment lang starrt er darauf, dann nimmt er den Hörer, legt ihn wieder auf, zögert, bis er schließlich noch einmal zum Hörer greift und eine Nummer wählt. Es klingelt. Zweimal. Dreimal. Beim vierten Klingeln: »Hallo?«
»Ich bin’s, Mama … Philippe …«
Multikulti-Team
Philippes Mutter ist es zu verdanken, dass eine Woche später Baudelaires Strahlenbehandlung beginnt. Einige Tage vorher ist sie in die Hauptstadt gereist, um ihrem Sohn Bargeld in Höhe von zweitausend Euro aus ihren persönlichen Ersparnissen zu bringen. Sie hat sich einen Tag Urlaub genommen, ohne ihrem Mann etwas davon zu sagen, und so getan, als ginge sie wie jeden Morgen um acht Uhr zur Arbeit.
Gemeinsam haben Mutter und Sohn in der Rue Littré ein Postgirokonto eröffnet, über das Philippe von nun an seine Sozialhilfe beziehen wird. Anschließend haben sie bei Bébère und Fatima zu Mittag gegessen, um gemeinsam mit dem dazugestoßenen Ahmed einen regelrechten Schlachtplan zu entwickeln, dessen Umsetzung begonnen hat, sobald sich die Türen des Zuges geschlossen haben, mit dem Philippes Mutter in ihre normannische Heimat zurückgekehrt ist.
In einem nahe gelegenen Internet-Café geht Philippe jeden Morgen zwei Stunden lang die für ihn geeigneten Stellenangebote durch. In seinem Lebenslauf hat er als Wohnsitz Bébères Adresse angegeben. Ahmed und sein kleiner Bruder Mouloud haben sein altes Handy reaktiviert, damit erjederzeit erreichbar ist. Zudem öffnet Mouloud stündlich Philippes Mailbox, um zu kontrollieren, ob Antworten auf seine Bewerbungen eingegangen sind. Nachmittags nimmt Philippe, wenn er nicht mit Baudelaire in Maisons-Alfort ist, an einer Nachschulung teil, um so schnell wie möglich seinen Führerschein zurückzubekommen. Abends verfasst er in Bébères Küche handgeschriebene Motivationsschreiben für die Stellenanzeigen, die er sich vormittags herausgesucht hat, ruft seine Tochter an, um ihr eine Geschichte zu erzählen, und seine Mutter, um sie auf dem Laufenden zu halten.
Drei Wochen später kommen die ersten Termine für Bewerbungsgespräche zustande. Jetzt heißt es:
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