Eine Art von Zorn
Bernardi vorgezeigt.
Die Polizei stand nun vor einem neuen Problem. Der Auslieferungsvertrag zwischen Belgien und der Schweiz verlangt glaubwürdige Beweise, bevor eine flüchtige Person verhaftet und dem Land ausgeliefert werden kann, in dem das Verbrechen begangen worden ist. Zürich mußte sich also erst einmal vergewissern, ob Frau Arbil mit Mademoiselle Bernardi identisch war.
Die Fremdenpolizei wußte Bescheid. Im Gegensatz zu dem, was Herr Arbil den Bazzolis gesagt hatte, gab es keine Frau Arbil. Lucia Bernardi war seine Maîtresse gewesen.
Unterdessen war es aber 10 Uhr geworden, und da war das Flugzeug schon in Brüssel gelandet, und seine Passagiere hatten den Flugplatz verlassen.
Am Abend meldete sich die belgische Kriminalpolizei mit der Nachricht, daß eine Frau, auf die die Beschreibung Lucia Bernardis zutraf, vom Brüsseler Flughafen aus mit einem gemieteten Wagen nach Namur gefahren sei. Man vermutete, daß sie dort den Zug nach Lille genommen hatte. Wenn das zutraf, stand die Kriminalpolizei in Zürich vor einem neuen Problem. Frankreich liefert seine Staatsangehörigen nicht aus. Sie konnte nur in Frankreich angeklagt werden.
Wenn sie das Verbrechen überhaupt begangen hatte!
Inzwischen dachte der Leiter der Zürcher Kriminalpolizei, Kommissär Mülder, über diese Frage nach. Er hatte den Autopsiebericht gelesen, und die Sache wurde immer rätselhafter.
Nach Ansicht der Ärzte war Arbil gefesselt und geknebelt worden, bevor man ihn erschossen hatte. Der Zustand seiner Geschlechtsorgane ließ keinen Zweifel daran, daß er auch gefoltert worden war.
Dazu kam, daß die Kugeln im Bauch nicht vom selben Kaliber waren wie die Kugel, die sein Gehirn zerschmettert hatte.
In der Villa wurde nur eine Schußwaffe gefunden, eine Parabellumpistole, die dem Toten gehörte, und aus der kein Schuß abgefeuert worden war!
Zwei Revolver verschiedenen Kalibers ließen auf zwei Schützen schließen. Der wissenschaftliche Erkennungsdienst der Kriminalpolizei hatte herausgefunden, daß zwei Männer die Villa auf den Kopf gestellt hatten. Sie waren durch eine Dachluke eingedrungen. Der eine hatte Lederhandschuhe getragen, der andere solche aus Baumwolle.
Wer waren sie?
Keine gewöhnlichen Einbrecher. Denn sie hatten offensichtlich nichts gestohlen.
Wer also war dieser Arbil?
Die Antwort auf diese Fragen lieferte der dritte. Er verwendete, längere Sätze und schrieb in einem leicht ironischen Ton. Er schien älter zu sein als die beiden andern.
Der volle Name des Toten lautete Ahmed Fathir Arbil. Er war ein politischer Flüchtling aus dem Irak.
Vor dreieinhalb Jahren war Oberst Arbil als irakischer Delegierter an der internationalen Konferenz der Polizeichefs in Genf gewesen. Während dieser Konferenz erschütterte eine Militärrevolte im Mosulgebiet das Regime von Brigadier Abdul Karem Kassim in Bagdad. Die Revolte wurde nach heftigem Kampf niedergeschlagen, die als Anführer Verdächtigten hingerichtet. Als die Konferenz zu Ende war, ersuchte Oberst Arbil die Schweizer Behörden um politisches Asyl. Als Grund gab er an, daß man ihn sofort nach seiner Rückkehr in den Irak erschießen würde.
Er erklärte, daß er politisch in Ungnade gefallen sei, weil er mit der kurdischen Nationalistenbewegung sympathisiere, die die Mosulrevolte angezettelt hatte. Zum Beweise seiner Behauptung zeigte er ein Schreiben der irakischen Gesandtschaft in Bern vor, das ihm die sofortige Rückkehr nach Bagdad befahl. Obgleich das Schreiben in formellem Ton gehalten war, fehlten sowohl Arbils militärischer Grad als auch sein Titel als Leiter der Sicherheitspolizei. Da klar war, was diese Auslassung bedeutete, wurde ihm Asyl gewährt unter dem üblichen Vorbehalt, sich in der Schweiz jeder politischen Aktivität zu enthalten.
Sein Aufenthalt in der Schweiz verlief zweieinhalb Jahre lang relativ ereignislos. Zum Unterschied von anderen politischen Flüchtlingen hatte er immer Geld. Als er Villa Consolazione kaufte und Bankreferenzen benötigte, war es ihm leichtgefallen, die Vertreter des Hauseigentümers von seiner Zahlungsfähigkeit zu überzeugen. Man nahm an, daß sein Einkommen aus einem Familienunternehmen im Irak stammte. Er hatte sich weder nach einer bezahlten noch nach einer unbezahlten Beschäftigung umgesehen und sich auch in keiner Weise politisch engagiert. Er hatte gesagt, er schreibe an einer Geschichte Kurdistans; aber niemand hatte das so recht ernst genommen, denn die meisten politischen Flüchtlinge
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