Eine bezaubernde Erbin
Teegesellschaft weckte in Helena keine Begeisterung. „Bei Lady Margaret Dearborn treffen sich doch nur Leute, die verrückt nach der Jagd sind. Ihre Gäste reden nie über etwas anderes als die Fuchsjagd.“
„Du hast eine Abhandlung zum Thema Fuchsjagd veröffentlicht, soweit ich weiß.“
„Auf Provisionsbasis, ohne jedes Risiko, sonst hätte ich das gar nicht ins Programm aufgenommen.“
„Zumindest hast du dadurch etwas, worüber du dich mit den anderen Gästen unterhalten kannst.“ Millie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Helena auf die Wange. „Deine Kutsche wartet, meine Liebe. Ich sehe dich heute Nachmittag.“
„Warte“, sagte Helena. „Stimmt es, was ich gehört habe? Dass Mrs Englewood wieder in England ist?“
Millie ignorierte das schmerzhafte Ziehen in ihrer Brust und nickte. „Fitz wird sie heute Nachmittag besuchen. Ein ziemlich bedeutsamer Tag für die beiden, nicht wahr?“
„Vermutlich.“ Die Frage, die sich in Helenas Augen widerspiegelte, galt hingegen nicht Fitz, sondern Millie.
Millie war nie besitzergreifend, überschwänglich oder demonstrativ in ihren Emotionen. Die gelassene Art, mit der sie ihre Ehe anging, hätte jeden davon überzeugen müssen, dass sie ihren Ehemann sehr gern hatte, aber nicht liebte. Und dennoch vermuteten seine Schwestern nun schon seit Jahren etwas anderes.
Vielleicht war die unerwiderte Liebe wie ein Gespenst in diesem Haus, eine Präsenz, die am Rande der Sinne entlangstrich, eine Hitze in der Dunkelheit, ein Schatten in der Sonne.
Sie tätschelte Helenas Arm und ging.
Der Garten stand in voller Blüte.
Das Gras war so grün wie auf einer Uferböschung, die Bäume groß und schattig. Vögel zwitscherten in den Zweigen, im Springbrunnen plätscherte das Wasser. In einer Ecke des Gartens blühten violette Hortensien, jeder Blütenkopf so groß und leuchtend wie ein Blumenstrauß.
Leg dir einen Garten an , hatte Mrs Graves Millie an ihrem Hochzeitstag geraten. Einen Garten mit einer Bank.
Millie spreizte die Finger auf den Latten der Bank. Sie war schlicht, aber hübsch, aus Eichenholz und in einem hellen, warmen Braun lackiert. Die Bank gehörte ihr nicht, sie stand schon hier, als sie Fitz‘ Ehefrau wurde. Aber auf Henley Park gab es eine fast exakte Kopie, die Fitz ihr vor ein paar Jahren als Zeichen seiner Wertschätzung geschenkt hatte.
Und sie hatte wieder zu hoffen begonnen – Närrin, die sie war.
„Ich dachte mir, dass ich dich hier finde“, sagte ihr Mann.
Überrascht blickte sie über ihre Schulter. Er stand hinter der Bank, seine Hände ruhten leicht auf der Rückenlehne – dieselben eleganten Hände, die ihr die Noten umgeblättert hatten, während seine Worte ihr Innerstes nach außen gekehrt hatten.
Jetzt trug er an seinem rechten Zeigefinger einen Siegelring, dessen Gravur das Wappen der Fitzhughs zeigte. Der Ring war ein Geschenk von ihr. Ihn an seiner Hand zu sehen hatte sie damals berührt und berührte sie noch immer.
Sie wollte ihn unter ihren Fingern fühlen. Mit der Zunge darüber fahren. Seine metallene Liebkosung am ganzen Körper spüren.
„Ich dachte, du wärst schon fort.“
Von ihrem Sitzplatz im oberen Stock aus hatte sie zugesehen, wie er davonspaziert war. Es war noch früh, er würde sich erst in einigen Stunden mit Mrs Englewood treffen, aber als er um die Ecke gegangen war, hatte er seinen Gehstock einmal im Kreis wirbeln lassen. Bei ihm bedeutete eine solche Geste so viel, wie bei einem anderen Mann ein Tanz durch die Straßen.
„Mir fiel ein, dass ich heute bei Hatchards vorbeikomme“, sagte er. „Soll ich fragen, ob deine Bücher angekommen sind?“
„Das ist sehr freundlich von dir, aber du hast heute sicherlich viel zu tun …“
„Dann hätten wir das geklärt: Ich werde kurz beim Buchhändler vorsprechen.“
„Danke“, murmelte sie.
Er lächelte. „Es ist mir ein Vergnügen.“
Sie hatte ihre Bestellung bei Hatchards vor einigen Tagen kurz erwähnt. Dass er sich daran erinnerte und anbot, für sie nachzufragen, hätte sie an einem anderen Tag begeistert – sie hätte es als weiteres Anzeichen dafür gesehen, dass sie ihm immer mehr ans Herz wuchs.
Heute zeigte seine Zuvorkommenheit nur, wie wunderbar glücklich er darüber war, bald seine Liebste wiederzusehen. Er war wie der junge Sommer selbst, seine wiederbelebte Hoffnung und wiedererwachten Träumen ließen ihn von innen strahlen. Und jeder Bettler auf seinem Weg – sie eingeschlossen – durfte doppelt so
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