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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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man Ärger erregt. Es kommt nur darauf an, wen man ärgert …«
    »Ich habe nicht die Ehre, ein Politiker zu sein, Herr Minister. Ich diene nach bestem Gewissen dem Staate …«
    Eine frostige Pause. Skutecky und die andern Beamten verkrochen sich in ihr Inneres. Spittelberger aber schien den pikierten Satz durchaus nicht krummzunehmen. Er zeigte seine schlechten Zähne und erklärte gemütlich:
    »No, no, ich habe das nur als einfacher Mensch gesagt, als ein alter Bauer …«
    Keinen Menschen gab’s auf der weiten Welt – wie spürte es Leonidas jetzt –, der weniger einfach, der verzwickter und vertrackter gewesen wäre als dieser ›alte Bauer‹. Fühlbar rasten hinter der lautlosen Stirn des borstigen Dickschädels in vielen übereinandergebauten Stockwerken die Hochbahn- und Untergrundbahnzüge seiner unermüdlichen Zielstrebigkeit. Spittelbergers elektrischer Opportunismus stand wie ein Wolkengebilde im Raum, quälender jetzt als Schummerers und des Schwammigen Feindseligkeit. Die letzte atembare Luft ging aus. »Herr Minister gestatten«, schnappte Leonidas und riß ein Fenster auf. In demselben Augenblick brach der Platzregen los. Eine schraferte Wassermauer verbaute die Welt. Man sah die Minoritenkirche nicht mehr. Der Lärm einer Kavallerieattacke knatterte über Dächer und Pfaster. Inmitten des Riesengebäudes aus Regen vergrollte ein Donner, dem kein Blitz vorgegangen war.
    »Das war höchste Zeit«, sagte Skutecky mit harter Aussprache. Spittelberger hatte sich erhoben und kam, die linke Schulter hochgezogen, beide Hände in den Taschen der zerknitterten Hose, schleppenden Ganges auf Leonidas zu. Jetzt glich er wirklich einem Bauern, der beim Wochenmarkt seine Kuh über den Preis loszuschlagen trachtet:
    »Wie wär’s, Herr Sektionschef, wenn wir diesem Bloch das große goldne Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft verleihen lassen und den Titel eines Hofrates dazu …«
    Dieser Vorschlag bewies, daß der Minister seinen Sektionschef nicht für einen bürokratischen Handlanger hielt wie den braven Jaroslav Skutecky, sondern für eine einfußreiche Persönlichkeit, hinter der sich undurchsichtige Mächte verbargen, die nicht verletzt werden durften. Die Lösung des Problems war Spittelbergers würdig. Eine Lehrkanzel und Klinik, sie bedeuten eine reale Machtstellung und sollen daher der bodenständigen Wissenschaft nicht entzogen werden. Ein hoher Orden aber, der nur äußerst selten verliehen wird, stellt eine Ehrung von solchem Rang dar, daß die Parteigänger der Gegenseite nicht mehr den Mund öfnen können. Beiden Teilen ist somit gedient.
    »Was meinen Sie zu diesem Ausweg?« lockte Spittelberger.
    »Ich halte diesen Ausweg für unstatthaft, Herr Minister«, sagte Leonidas.
    Vinzenz Spittelberger, die Sphinx, spreizte die stämmigen Beine und senkte seinen grauen Borstenschädel wie ein Ziegenbock. Leonidas sah auf den kahlen Fleck am Scheitel hinab und hörte, wie der Politiker Speichel einschlürfte, ehe er gelassen betonte:
    »Sie wissen, ich bin sehr expeditiv, lieber Freund …«
    »Ich kann Herrn Minister nicht hindern, einen Fehler zu begehen«, sagte Leonidas knapp, während ihn das berauschende Bewußtsein eines unbekannten Mutes durchströmte. Worum ging es? Um Alexander Bloch? Lächerlich! Dieser unglückliche Bloch war nur ein auswechselbarer Anlaß. Leonidas aber wähnte, jetzt stark genug zu sein für die Wahrheit und für die Erneuerung seines Lebens, Minister Spittelberger hatte den roten Salon, gefolgt von Skutecky und den Ministerialräten, bereits verlassen. Unvermindert prasselte der Regen fort.

    Fünes Kapitel
EINE BEICHTE, DOCH NICHT
DIE RICHTIGE

    Als Leonidas nach Hause kam, regnete der Regen noch immer in beständigen, wenngleich schon müderen Strichen. Der Diener meldete, daß die gnädige Frau von ihrer Ausfahrt noch nicht heimgekehrt sei. Es geschah höchst selten, daß Leonidas, mittags vom Amte kommend, auf Amelie warten mußte. Während er seinen triefenden Mantel auf den Bügel hängte, zitterte in ihm noch immer die Betrofenheit über sein heutiges Verhalten nach. Er war dem Minister gegenüber zum erstenmal im Leben aus dem Takt des Beamtentums gefallen. Es war nicht Sache dieses Beamtentums, mit ofenem Visier zu kämpfen. Man benutzte gelenkig die Strömung der Welt, von der man sich mit Umsicht treiben ließ, um die unerwünschten Klippen zu vermeiden und die erwünschten Halteplätze anzustreben. Er aber war dieser verfeinerten Kunst untreu geworden

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