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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Der Rothaarige spielte die Rolle eines Vertrauensmannes der Universität beim Ministerium und galt überdies als besonderer Günstling Spittelbergers, dieser ›politischen Sphinx‹, wie einige den Minister bezeichneten. Zum Ärger des Sektionschefs Leonidas tauchte Schummerer stets gegen Mittag im Hause auf, trieb sich schlurfenden Ganges in den verschiedenen Büros umher, hielt die Arbeit auf, indem er den akademischen Klatsch hinterbrachte und im Austausch dafür den politischen Klatsch einhandelte. Er war Prähistoriker von Fach. Seine Geschichtswissenschaft begann genau dort, wo das geschichtliche Wissen zu Ende ist. Sein Forschergeist fschte gewissermaßen im Trüben. Schummerers Neugier aber galt nicht nur der vergangenen, sondern nicht minder der gegenwärtigen Steinzeit. Er besaß das feinste Ohr für das verschlungene Hin und Her der Beziehungen, Einfüsse, Sympathien und Intrigen. Wie an einem Barometer konnte man an seinem Gesicht die Schwankungen des politischen Wetters ablesen. Auf welche Seite er sich neigte, dort war zuversichtlich die Macht von morgen …
    »Der Herr Sektionschef wird die Güte haben …«, sagte der alte Skutecky mit harter Aussprache und blickte verlangend auf die Mappe, die vor Leonidas lag.
    »Ach so«, räusperte sich dieser, öfnete die Mappe und begann mit seiner in fünfundzwanzig Jahren erworbenen technischen Gewandtheit den Vortrag. Sechs Lehrstühle mußten an den verschiedenen Hochschulen des Landes neu besetzt werden. In der Reihenfolge und nach den Angaben der vor ihm liegenden Aufzeichnungen berichtete der Sektionschef über die einzelnen Gelehrten, die in Vorschlag gebracht worden waren. Er tat dies mit einem völlig gespaltenen Bewußtsein. Seine Stimme ging wunderlich neben ihm einher. Tiefes Schweigen herrschte. Keiner der Herren erhob einen Einwand gegen die Kandidaten. Jedesmal, wenn ein Fall erledigt war, reichte Leonidas das betrefende Blatt dem jungen Beamten mit dem schwammigen Gesicht, der dienstfertig hinter dem Minister stand und es behutsam in dessen großer Aktentasche versorgte. Vinzenz Spittelberger selbst jedoch hatte seinen Klemmer auf den Tisch gelegt und schlief. Er sammelte Schlaf, wo und wie er nur konnte, besser, er hamsterte Schlaf. Hier ein halbes Stündchen, dort zehn Minuten, zusammen ergab’s doch eine hübsche Summe, die man ohne wesentlichen Fehlbetrag der Nacht entziehen konnte. Die Nacht aber brauchte man für Freunde, für den Dienst an diesem oder jenem Stammtisch, für Aufarbeitung von Rückständen, für Reisen und vor allem für die große Wollust der Verschwörungen. In der geselligen Nacht keimt das am Tage Gepfanzte, der zarte Schößling der Intrige. Auch ein Politiker in Amt und Würden kann daher auf die Nacht nicht verzichten, die ein zigeunerhaftes, aber produktives Element ist. Heute spielt man noch den Fachminister. Morgen aber wird man vielleicht die ganze Macht im Staate an sich reißen, wenn man die Zeichen der Zeit richtig verstanden, erkannt und sich nach keiner Seite hin unvorsichtig gebunden hat. Spittelberger schlief einen eigenartigen Schlaf, der wie ein Vorhang voll von Löchern und Rissen war, ohne darum weniger zu erquicken. Dahinter lauerte der Schläfer, jeden Augenblick auf dem Sprung, hervorzufahren und zuzupacken. Zwanzig Minuten hatte Leonidas bereits gesprochen, indem er die Lebensläufe, die Taten und Werke der zu berufenden Professoren verlas und aus den vorliegenden Berichten eine Charakteristik ihres politischen und bürgerlichen Wohlverhaltens zusammenstellte. Seine Stimme huschte angenehm, leise und füchtig dahin. Niemand merkte, daß sie gleichsam auf eigene Rechnung und Gefahr handelte und sich vom Geiste des Sprechers getrennt hatte. Soeben wanderte das Vormerkblatt des fünften Weisen in die Hand des Schwammigen. Es war so fnster geworden, daß jemand die Deckenbeleuchtung einschaltete.
    »Ich komme nun zu unserer medizinischen Fakultät«, sagte die angenehme Stimme und machte eine bedeutsame Pause. »Der Ordinarius für Innere Medizin, Herr Minister«, mahnte jetzt Skutecky, mit einem leicht erhobenen, fast frommen Ton, als befnde man sich in einer Kirche. Diese Form des Weckens wäre aber durchaus nicht nötig gewesen, denn Spittelberger hatte seine verwaschenen Augen längst aufgeschlagen und himmelte ohne eine Spur von Verwirrung oder Schlaftrunkenheit im Kreise umher. Dieser Schlaünstler hätte ohne Zweifel die Namen und Eigenschaften der fünf bisher verhandelten Kandidaten

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