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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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eine eingetrocknete Kröte vor dem Regen, dieser Vinzenz! Und der Herr Skutecky, dieser böhmische Dorfschullehrer! Was für ein Niveau das ist, das heute regieren darf …«
    »Die Fürsten und Grafen von ehemals haben zwar besser ausgesehen, aber noch schlechter regiert. Du bist eine unheilbare Ästhetin, Amelie …« »Du hast es nicht nötig, dich zu ärgern, León! Du brauchst diese ordinäre Gesellschaft nicht. Wirf ‘s ihnen hin …«
    Sie führte den Löfel an seinen Mund, reichte ihm das Glas. Ihm wurde das Herz ganz schlapp vor jäher Wehmut. Er wollte sie an sich ziehen. Sie bog den Kopf zur Seite. Er merkte, daß sie heute mindestens zwei Stunden beim Friseur zugebracht haben mußte. Das wolkige Haar war untadelig gewellt und duftete wie die Liebe selbst. Es ist ein Wahnsinn, was habe ich mit dem Gespenst Vera Wormser zu schafen? Amelie sah ihn streng an:
    »Ich werde von nun an darauf bestehen, León, daß du dich täglich nach Tisch eine Stunde lang ausruhst. Du bist schließlich und endlich im gefährlichen Alter der Männer …«
    Leonidas klammerte sich an ihren Worten fest, als könnten sie ihm zur Verteidigung dienen: »Du hast recht, Liebste … Seit heute weiß ich, daß ein Fünfzigjähriger schon ein alter Mann ist …« »Idiot«, lachte sie nicht ohne Schärfe. »Mir wär vermutlich wohler, wenn du endlich ein älterer Herr wärst und nicht dieser ewige Jüngling, diese anerkannte Männerschönheit, die alle Weiber angafen …«
    Der Gong rief zum Mahl. Es war unten in dem großen Speisezimmer ein kleiner runder Tisch zum Fenster gerückt. Die mächtige Familientafel in der Mitte des Raums stand mit ihren zwölf hochlehnigen Stühlen leer und gestorben da, nein ärger, tot ohne gelebt zu haben. Leonidas und Amelie waren keine Familie. Sie saßen als Verbannte ihrer eigenen Familientafel gleichsam am Katzentisch der Kinderlosigkeit. Auch Amelie schien dieses Exil heute stärker zu fühlen als gestern und vorgestern und all die Tage und Jahre vorher, denn sie sagte: »Wenn es dir recht ist, werd’ ich von morgen ab oben im Wohnzimmer decken lassen …« Leonidas nickte zerstreut. All seine Sinne waren den ersten Worten der nahenden Beichte entgegengespannt. Ein tollkühner Einfall durchzuckte ihn. Wie wäre es, wenn er im Zuge seiner großen Konfession, anstatt um Verzeihung zu betteln, über die Schnur haute und von Amelie glatt forderte, daß sie seinen Sohn im Hause aufnehme, damit er mit ihnen wohne und am gemeinsamen Tische speise. Ohne Zweifel, ein Kind von ihm und Vera mußte einige Qualitäten besitzen. Und würde ein junges glückliches Gesicht nicht das ganze Leben erhellen? Das erste Gericht wurde aufgetragen. Leonidas häufte seinen Teller voll, legte aber schon beim dritten Bissen die Gabel hin. Der Diener hatte Amelie diese Schüssel gar nicht gereicht, sondern ein Gefäß mit rohen Selleriestangen neben ihr Gedeck gestellt. Auch an Stelle des zweiten Ganges bekam sie nur eine winzige, rasch abgebratene Kotelette, ohne jede Zutat und Würze. Leonidas sah ihr erstaunt zu:
    »Bist du krank, Amelie, hast du keinen Appetit?«
Ihr Blick konnte eine höhnische Erbitterung nicht
verleugnen:
»Ich sterbe vor Hunger«, sagte sie.
    »Von dieser Spatzenportion wirst du nicht satt werden.«
    Sie stocherte im grünen Salat, der eigens für sie ohne Essig und Öl, nur mit ein paar Zitronentropfen angerichtet war:
    »Fällt es dir erst heute auf«, fragte sie spitz, »daß ich wie eine Wüstenheilige lebe?«
    Er gab ziemlich stumm und ungeschickt zurück: »Und welches Himmelreich willst du dir dabei verdienen?«
    Sie schob mit einer heftigen Ekelgeste den Salat von sich:
    »Ein lächerliches Himmelreich, mein Lieber. Denn dir ist es ja vollkommen egal, wie ich aussehe … Dir macht es nichts aus, ob ich eine mittelschwere Tonne bin oder eine Sylphide …«
    Leonidas, der seinen schlechten Tag hatte, verirrte sich weiter im Dickicht der Ungeschicklichkeit:
    »Wie du bist, Liebling, bist du mir recht … Du überschätzt meine Äußerlichkeit … Um meinetwillen mußt du wahrhaftig nicht als Heilige leben …«
    Ihre Augen, die älter waren, als sie selbst, blitzten ihn an, füllten sich mit häßlichen, ja mit gemeinen Wallungen:
    »Aha, also ich bin für dich schon jenseits von Gut und Böse. Mir kann nach deiner Ansicht nichts mehr helfen. Ich bin nichts andres mehr für dich als eine alte schlechte Gewohnheit, die du nur so weiter mitschleppst. Eine schlechte Gewohnheit, die aber ihre

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