Eine Braut fuer Lord Sandiford
Sie da drinnen?"
Atemlos wartete er einen Moment, konnte jedoch nichts hören. Er schoss das Türschloss auf und wappnete sich für den Anblick, der sich ihm vielleicht gleich bieten würde. Obwohl sein Schuss in den unteren Stockwerken erschreckte Schreie auslöste, rührte sich hinter der Tür, vor der er stand, gar nichts.
Er trat sie auf und betrat die Kammer. Sein Herz blieb vor Entsetzen beinahe stehen. Es sah so aus, als ob ein furchtbarer Kampf stattgefunden hätte. Das Bett stand ohne Strohpritsche an dem schmalen Fenster. Die Matratze lag zusammen mit Holzbrettern, dem Bettzeug und Porzellanund Glasscherben mitten im Raum.
Da erblickte er das Stück eines Seils, das an das Bettgestell geknüpft war und aus dem Fenster hing.
Sandifords Herz tat einen Sprung, und er schöpfte wieder Hoffnung. Ein freudiges Lächeln erhellte sein Gesicht.
Verdammt und zugenäht! Sie war eine großartige Frau!
Der Fensterrahmen war so schmal, dass Sandiford für einen Moment befürchtete, nicht hindurchzukommen. Doch er schaffte es, sich an dem zersplitterten Glas vorbeizuzwängen. Zu seinem Entsetzen sah er, dass das Seil acht Fuß über dem Boden endete. Hatte Clarissa es geschafft, auf die Straße zu springen, ohne sich dabei zu verletzen? Und wohin war sie geflohen?
"Clarissa!" brüllte er, während er sich am Seil herabließ und auf den Boden sprang. "Clarissa! Wo sind Sie? Ich bin es – Michael! Kommen Sie heraus, meine Liebe. Sie sind in Sicherheit."
Die Gasse war nicht erleuchtet. Als sich Sandiford in der Dunkelheit umsah, konnte er ein paar Straßen erkennen, die von dieser Gasse abging. Clarissa war nirgends zu sehen.
Eine kleine Gruppe von Leuten hatte sich vor dem Eingang zum Bordell versammelt und sah den Oberst neugierig an. Er achtete nicht auf sie, sondern wollte gerade in eine andere Straße laufen, als er eine schwache Stimme vernahm.
"Michael? Sind … sind Sie das?"
Eine Gestalt tauchte hinter einem Haufen stinkenden Unrats auf und kam mit unsicheren Schritten auf ihn zu. Er schob seine Pistole in den Gürtel und rannte zu ihr.
Clarissa, deren Kleid zerrissen und verdreckt und deren Haare zerzaust waren, warf sich Sandiford in die Arme.
Er hob sie hoch und trug sie zu der Kutsche, in der Maddie und der Lakai noch immer warteten. Dann lief er in das Bordell, um Englemere und den anderen Bescheid zu geben, dass er Miss Beaumont gefunden hatte. Schließlich kehrte er zur Droschke zurück und befahl dem Fahrer, sie zum Grosvenor Square zu bringen.
Maddie weinte, während sie die blutigen, angeschwollenen Hände ihrer Herrin betrachtete. Clarissa beteuerte ihr, dass ihre Verletzungen zum Glück nur oberflächlich seien und bestimmt rasch verheilen würden. Trotz der entsetzlichen Erlebnisse, die sie an diesem Abend durchgemacht haben musste, fand sie noch immer die Stärke, Maddie zu trösten.
Sandifords Herz schlug schneller vor Liebe und Stolz. Aber sie hatte auch sehr leichtsinnig gehandelt.
"Lassen Sie mich Ihre Hände sehen", bat er sie.
Clarissa wollte sich zuerst weigern, streckte sie ihm dann aber doch entgegen. "Schlimmer als das letzte Mal", sagte sie mit bebender Stimme.
Am liebsten hätte Sandiford sie angeschrien, was ihr denn einfiele, ihm eine solche Angst einzujagen. Dann wollte er sie wieder in die Arme nehmen und sie bis zur Besinnungslosigkeit küssen, doch die Gegenwart der beiden Bediensteten hielt ihn davon ab. Er musste sie so rasch wie möglich loswerden, um endlich seinen Plan in die Tat umsetzen zu können.
"Viel schlimmer als das letzte Mal", stimmte er zu. "Diese Wunden müssen behandelt werden. Wir bringen Ihre Diener zum Grosvenor Square und fahren dann weiter."
"Wie das letzte Mal?"
Nicht ganz, aber mehr wollte er ihr im Augenblick nicht verraten. "Wie das letzte Mal."
Außer den aufmunternden Worten, die sie von Zeit zu Zeit der schluchzenden Maddie zumurmelte, schwieg Clarissa während der restlichen Fahrt. Am Grosvenor Square sprang Sandiford aus der Kutsche, um Maddie und den Lakaien hineinzubegleiten. Dann gab er dem Kutscher leise weitere Anweisungen und kletterte in die Droschke zurück. Clarissa saß zusammengekauert in einer Ecke und wirkte völlig erschöpft. Nachdem Maddie nun im Haus war, musste sie nicht mehr vorgeben, dass alles in Ordnung sei.
Sandiford schwieg und ließ sie in Ruhe. Er hoffte, dass sie einschlief, da ihm das den nächsten Schritt erleichtern würde. Aber sie war verständlicherweise viel zu erregt, um Schlaf zu finden. So
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