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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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viel Angst, um aufzuhören. Maman und ich hatten die beruhigenden Zauber, die mir helfen sollten, mich bei der Geburt zu konzentrieren, bereits geübt, doch jetzt hatte ich sie alle vergessen. Das Einzige, was ich noch wahrnahm, war die dunkle Flut meines Leids, die über mir zusammenschlug und mich in die Tiefe hinabzog.
    Mein Bauch hob und senkte sich, zog sich zusammen, und nach einer halben Ewigkeit spürte ich endlich, wie der Schmerz nachließ. Ich fühlte mich weit weg, müde, und merkte kaum, was um mich herum geschah.
    »Oh, gute Göttin, so viel Blut«, hörte ich Ouida aus der Ferne sagen.
    Ich wusste, dass Richard noch immer meine Hand hielt, doch ich fühlte den Druck nur schwach. Ich war so froh darüber, dass der Schmerz nachgelassen hatte, so froh, dass ich dem Schrecken, der Angst und der Qual entglitten war. Ich musste mich ausruhen. Meine Augen schlossen sich. Regen fiel platschend auf meine Lider. Der Sturm heulte noch über unseren Köpfen, doch der Boden unter mir fühlte sich sicher und nährend an. Ich gab nach, merkte, wie die Spannung aus meinem Körper wich. Der Göttin sei Dank, die Schmerzen waren weg. Ich fühlte mich rundherum wohl.
    Dann sah ich auf mich selbst herunter, auf Maman, Richard und die anderen, blickte von hoch oben auf sie herab. Ich sah, wie der Regen sie durchnässte. Maman hielt ein kleines, zappelndes Baby in die Höhe, dessen Blut vom Regen weggewaschen wurde. Ich sah mich selbst dort liegen, ruhig und friedlich, als würde ich schlafen. Mein Baby Hélène, dachte ich.
    Ich erwachte aus meiner Trance, als ich nach hinten fiel und hart mit dem Kopf auf einem Stein aufkam.
    Verwirrt blinzelnd blickte ich nach oben in einen dunklen, mondlosen Himmel und dann auf ein paar Familiengräber.
    Mir brummte der Kopf. Als ich mit der Hand über die Hinterseite meines Schädels strich, ertastete ich eine Beule. Ich richtete mich auf. Von einer der Grüfte war vor wer weiß wie langer Zeit ein Stück eines Namenschilds herabgefallen und ich war mit dem Kopf genau dagegen geschlagen. Ich weiß nicht, weshalb ich überhaupt gefallen war. Schließlich war ich doch tot. Wieso tat mir der Kopf weh? Und meine Hände auch?
    Es dauerte noch eine Minute, bis mir klar wurde, dass ich gar nicht tot war. Ich war nicht Cerise. Ich war Clio, zurück im Hier und Jetzt. Meine vier Kerzen waren heruntergebrannt und fast verloschen. In der kleinen Schüssel mit der Kohle war nur graue Asche übrig geblieben. Rasch blickte ich mich um, versuchte, meine Orientierung wiederzugewinnen, kroch dann hinüber zu meiner Segeltuchtasche und zog meine Uhr hervor. Es war vier in der Früh. Ich war aufgewühlt, atemlos. Dieses Mal war ich Teil des Ritus gewesen, nicht nur ein Zuschauer. Ich hatte den Zauber, den Melita gesungen hatte, mitangehört, hatte die leuchtenden Zeichen und Runen auf dem Boden gesehen, die wir vorher nicht bemerkt hatten, weil Melita sie aufgemalt hatte, noch bevor der Zirkel zusammengekommen war.
    Ich hatte erlebt, wie ich starb.
    Ich schluckte, sog flach und zitternd den Atem ein und begann, meine Sachen einzusammeln. Ich kippte die Asche auf den Boden und trat noch einmal mit dem Fußballen darauf, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich erloschen war. Ich blies die Kerzen aus und entfernte das heruntergetropfte Wachs.
    »Petra wäre nicht besonders erfreut, wenn sie das hier wüsste.« Beim Klang der rauen, gedehnt sprechenden Stimme machte ich einen Satz in die Luft. Ich hatte nichts und niemanden um mich herum spüren können und konnte es genau genommen immer noch nicht. Gehetzt blickte ich mich um, und endlich gelang es mir, einen schwarzen Schatten auszumachen, der auf dem Pfeiler einer Grabeinfassung saß, direkt neben einer Zementvase mit verblassten Plastikblumen darin. Daedalus erhob sich und kam zu mir herüber.
    Mein Herz klopfte wie wild, ich hatte Angst. Ich straffte die Schultern, schüttelte mein Haar nach hinten, sodass es mir nicht mehr ins Gesicht hing, und begann, meine Arbeitsutensilien in meiner Tasche zu verstauen.
    »Ist es dir völlig egal, was Petra davon hält? Immerhin hat sie dich aufgezogen.« Einen guten Meter von mir entfernt kniete sich Daedalus auf den Boden, wobei seine schwarze Kleidung eins mit der Nacht wurde.
    »Warum lässt du das nicht meine Sorge sein?«, erwiderte ich. Ich zwang mich, ruhiger zu atmen, und setzte ein ausdrucksloses Gesicht auf.
    »Wieso lässt du die Vergangenheit nicht ruhen?«
    Ich blickte ihn an. »Dann hast du also

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