Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja
wandte sich wieder ihrer Pflanzarbeit zu.
Eine andere, die neben Anna arbeitete, kroch näher zu ihr heran und flüsterte:«Was für eine Frechheit, die Fürstin zu belästigen. Das war die Mätresse des Fürsten. Jetzt wird sie sich wohl nicht mehr trauen, ihm nachzusteigen, die Spitzbübin. »
Anna wurde es schwarz vor Augen. Ihre Arme sanken schwer herab, ihr Herz hämmerte so sehr, daß sie einen Augenblick glaubte, sterben zu müssen. Ein Krampf schnürte ihr die Kehle zu.«Wie? Das also war eine der Frauen, die er geliebt hat! Und immer, ihr Leben lang wird sie hier leben, in unserer Nähe, wird mir begegnen und mich mit diesem ungenierten Blick ansehen, und alle werden wissen, daß ich, die Frau des
Fürsten, die Nachfolgerin dieser Arischa bin! … Und wer kann mir garantieren, daß er nicht zu ihr zurückkehrt?»
All das huschte Anna auf einmal durch den Sinn. Und auch das Bild der rotbäckigen Arischa mit ihren schwarzen Schläfenhaaren, die unter dem roten Kopftuch hervorsahen, den dreisten braunen Augen und den kleinen perlweißen Zähnen.
Anna richtete sich leise auf, nahm ihren Sommermantel und ging davon. Sie ging taumelnd, doch sobald sie um die Ecke des alten Eichenwaldes gebogen war, rannte sie los. Am liebsten wäre sie weit weggelaufen, damit er, ihr Mann, sie nicht einholen konnte, damit sie nicht sein Gesicht sehen, nicht seine Berührung spüren, nicht die Stimme hören mußte, die in gewissen Momenten dieser Arischa sicherlich dieselben zärtlichen Worte gesagt hatte, die er jetzt ihr sagte.
Ihre Verzweiflung war unüberwindlich, eine Verzweiflung und ein Entsetzen, die in einer sehr jungen Seele unausweichlich für immer Spuren hinterlassen, vergleichbar dem Erleben eines Kindes, das zum erstenmal mit einem verwesten Leichnam konfrontiert wird.
Gerade erst hatte sich Anna mühsam an ihr Verhältnis zu ihrem Mann gewöhnt, und plötzlich
stellte es sich ihr in neuer Ungeheuerlichkeit dar. Einen Augenblick lang dachte sie daran, zu fliehen, auf der Stelle zu fliehen, nach Hause, zur Mutter.
«Ach, aaach!»schluchzte sie, völlig außer Atem vom schnellen Laufen und ihrer wilden Verzweiflung hingegeben.
Sie durchlief den ganzen Wald, zum Teich hinunter, und setzte sich schließlich, entkräftet und immer noch schluchzend, auf eine Bank. Es war schon ganz dunkel geworden. Nachdem sie sich ausgeweint hatte, so daß ihre angespannten Nerven erschlafften, streckte sie sich mit unter den Kopf gelegtem weißem Wolltuch auf der Bank aus, schloß die erhitzten Augen und verharrte still.
Unterdessen hatte der Fürst die Pflanzarbeiten abgeschlossen und ging Anna holen.
«Wo ist die Fürstin?»fragte er die Frauen.
«Sie ist längst weg», bekam er zur Antwort.
«Ist etwas mit ihr geschehen?»wollte er erschrocken wissen.
«Scheint sich müde gearbeitet zu haben.»
Der Fürst machte sich besorgt und eilig auf den Weg nach Hause. Im Vorraum empfing ihn der Buffetier, der seine Herrschaft voller Unruhe zum Essen erwartete.
«Ist die Fürstin da?»erkundigte sich der Fürst, der schon ahnte, daß Anna nicht im Hause war.
«Nein, mitnichten.»
Der Fürst machte schleunigst kehrt und lief, ja rannte fast zum Wald am Pflanzgarten.«Anna, Anna!»rief er.
Keine Antwort. Das Laub der uralten Eichen, das bereits zu vertrocknen begann, rauschte, und der Wind wehte ihm scharf ins Gesicht. Er stürzte weiter zum Garten.
«Anna, wo bist du? Um Himmels willen, antworte! »schrie der Fürst verzweifelt, als er die Allee entlanglief.
Anna vernahm seine Stimme, verhielt sich jedoch still. Es freute sie, daß er nach ihr suchte, daß er gleich bei ihr sein würde, aber Schmerz und Erregung hielten noch an, und etwas Fremdes und Beängstigendes hatte sich in ihrer Phantasie mit dem geliebten schönen Gesicht ihres Mannes verbunden.
Als er endlich ganz dicht herangekommen war und sie plötzlich entdeckte, betrachtete er sie mit verwundertem Blick.«Was ist mit dir? Warum bist du weggegangen?»
Anna schwieg.
«Anna, mein Herz, was hast du?»fragte er entsetzt.
Statt zu antworten, schluchzte sie wieder los. Ihr ganzer magerer Körper bebte, sie stieß ihren Mann mit der Hand weg und konnte lange nicht sprechen. Schließlich sagte sie:«Nichts, es ist nichts, laß mich! Ach, was für eine Pein! Aaach!»schluchzte sie.«Gleich sterbe ich!»
Sie legte sich wieder auf die Bank, mit dem Gesicht nach unten, und das Schluchzen erschütterte ihren fast noch kindlichen Körper.
«Ich ahne den Grund», sagte
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