Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja
der Fürst schuldbewußt und traurig.«Beruhige dich, Liebste, ich werde alles tun, um dir deine Sorge zu nehmen. Ich ertrage es nicht, dich leiden zu sehen. Anna, kann denn das sein? Ich liebe dich doch über alles auf der Welt. Armes Mädchen! Sag mir etwas.»
Er richtete seine Frau auf und wollte sie sich auf den Schoß setzen, doch sie riß sich los.«Nein, bitte nicht, ich kann nicht... Geh bitte, geh. Ich komme gleich, wirklich, ich komme», sagte Anna, dabei wollte sie nur eines - daß er sie noch stärker liebe und nicht von ihr weggehe.
Der Fürst erkannte das und besänftigte sie liebkosend mit den zärtlichsten Worten. Sie hörte ihm leise weinend zu und verstummte allmählich. Er faßte sie unter und führte sie, ohne weiter zu fragen, mit langsamen Schritten zum
Haus. Sie ging fügsam den mit dürrem Laub bedeckten Weg entlang, doch ihr ganzes Wesen war völlig erschöpft und ausgelaugt von der neuen leidvollen Erfahrung.
Im Speisezimmer empfing sie die beunruhigte alte Fürstin. Sie wußte nichts, aber als sie Anna vor sich sah, streichelte sie ihr über den Kopf und sagte leise:« Pauvre petite! » 7
VIII
Von diesem Tag an schloß sich Anna im Haus ein, verließ es nicht einmal mehr zu Spaziergängen. Sie brauchte nur einen Bäuerinnenrock von weitem zu sehen, um zusammenzuzucken. Zerstreuung und einen Lebenssinn begann sie in dem engbegrenzten Familienmilieu zu suchen, in das sie das Schicksal verschlagen hatte. Auch wandte sie sich wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung zu - dem Malen. Sie holte sich zwei Kinder, die sie, als hübsches Ensemble arrangiert, jeden Morgen malte. Damit sich die beiden beim Modellsitzen nicht langweilten, ließ sie in der Stadt Spielzeug und Süßigkeiten besorgen, erzählte ihnen Märchen und trieb mit ihnen allerlei Kurzweil.
Hin und wieder huschte mit lautlosen Schritten die alte Fürstin herein, trat zu Anna, küßte sie auf die Stirn und riet ihr, einen Spaziergang zu machen. Manchmal setzte sie sich in einen Sessel und betrachtete Annas Arbeit lächelnd mit Wohlgefallen. Ihr Mann hingegen interessierte sich nie für ihr Tun, und das betrübte sie sehr. Selten nur betrat er ihr Zimmer, um ihren Studien mit gekünstelten Redensarten, mit denen man Kinder anzuspornen sucht, geheucheltes Lob zu spenden. Anna sah, daß er höchstens von weitem einen Blick darauf warf, ohne etwas wahrzunehmen.
Seine Rundgänge durch die Gutswirtschaft machte der Fürst jetzt immer allein, und Anna wartete zuweilen besorgt auf seine Rückkunft. Häufig, wenn ihr eifersüchtige Gedanken in den Sinn kamen, wurde ihr Verhältnis zu ihrem Mann ganz und gar unnatürlich.
Eines Abends, als schon die Dunkelheit hereinbrach und der Fürst noch nicht vom Dreschen zurück war, befiel Anna Unruhe, dann begann ihr diese Unruhe eifersüchtige Bilder zu malen, sie mußte an Arischa denken, und unfähig, länger zu warten, sprang sie plötzlich auf, zog sich hastig an und lief auf einem Umweg, um niemandem zu begegnen, zur Tenne. Hier
war keiner mehr; Anna stahl sich zwischen den Schobern hindurch, lauschte und spähte. Doch alles war still. Ihr wurde unheimlich zumute, und sie kehrte um, bog um das Haus, stieg zur steinernen Terrasse hinauf und lugte durch die erleuchteten Fenster des Arbeitszimmers, wo sie die schöne Gestalt ihres Mannes entdeckte, der sich, auf einem anderen Weg nach Hause zurückgekehrt, ruhig zum Essen umzog.
«Nein, vorläufig ist er noch mein!»dachte sie voller Leidenschaft. Ihr Herz hämmerte unerträglich; beschämt ob ihres Tuns, ging sie zurück und gelangte unbemerkt durch den Hintereingang zu ihrem Zimmer.
«Lieber Gott! Hätte ich es für möglich gehalten, so zu werden!»überlegte sie.«Mein Traum war es, daß mein Mann und ich - daß wir beide uns in der ersten reinen Liebe vereinen würden! Und jetzt! Ich bin völlig vergiftet von dieser schrecklichen Eifersucht, und es gibt keine Rettung für mich!»
Anna beweinte ihre Ideale und konnte sich lange nicht beruhigen. Den ganzen Abend war sie traurig, und als sie dann allein blieb in ihrem Schlafzimmer, wohin sie sich früh zurückgezogen hatte, um zu Bett zu gehen, überkam sie das Verlangen zu beten.
Sie zog ihre Seidenbluse aus und warf sie auf einen Stuhl; bei dem Gedanken, ihr Mann könnte bald hereinkommen, beeilte sie sich niederzuknien. Sie bat Gott um seelische Ruhe und Kraft, um allem Ungemach im Leben zu widerstehen, sie bat um Vergebung ihrer Sünden. Tränen der Rührung und des Selbstmitleids
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