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Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja

Titel: Eine Frage der Schuld - Mit der Kurzen Autobiographie der Graefin S A Tolstaja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja Ursula Keller Alfred Frank Ursula Keller
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ERSTER TEIL

I
    Es war ein wundervoller, klarer, jubilierender Tag. Ein wahres Fest sommerlicher Blütezeit. Wie schön und heiter waren der lichte blaue Himmel, die heißen Sonnenstrahlen, die in den üppigen Bäumen und blühenden Büschen zahlreich lärmenden Vögel! Und wie herrlich spiegelte in der Ferne ein tiefer blauer See den Himmel und die farbenfrohe, saftige, reiche Flora seiner Ufer.
    Einen genauso festlichen, blühenden und heiteren Anblick boten die beiden Mädchen, die den Weg vom See zu dem großen weißen Steinhaus entlangliefen - barfuß, die Schuhe in den Händen, die nassen Handtücher über die Schultern geworfen, die Haare aufgelöst. Das Barfußlaufen nicht gewohnt, traten die ungebräunten kleinen Füße zaghaft und leicht, von der Berührung wie erschauernd, auf das taufeuchte Gras, und die Mädchen lachten laut.

    «Nicht, daß uns noch jemand sieht», sagte die eine.
    «Na und, muß uns das peinlich sein?»fragte die andere mit erstaunt geweiteten Augen.«Die Bauersfrauen laufen doch alle barfuß.»
    «Das stachelt aber, tut richtig weh.»
    «Ist doch nicht schlimm, du mußt so laufen, leichtfüßig!»
    Das schwarzäugige zierliche Mädchen rannte so schnell los, daß es völlig außer Atem, rot und erregt auf der Terrasse des Hauses ankam; um sich blickend, besann es sich plötzlich und blieb, schrecklich verlegen, wie angewurzelt stehen.
    «Was hast du, Anna?»fragte die Mutter streng und verwundert und betrachtete ihre verwirrte Tochter vom Kopf bis zu den Füßen.
    «Natascha und ich haben gebadet, und… und... wir haben ausprobiert, wie es sich barfuß läuft. Wir wußten nicht...», sagte Anna und suchte dabei ihre Füße zu verstecken.
    Sie warf einen schrägen Blick auf die ihr hingestreckte Hand, dann sah sie dem Besucher, der sich vom Teetisch erhoben hatte, in die Augen und reichte ihm mit einem schuldbewußten Lächeln die ihrige.«Ich wußte nicht, daß Sie hier sind. Guten Tag, Fürst... Ich bin gleich wieder da.»

    Und schon war das Mädchen weg. Ohne innezuhalten, huschte auch das andere vorbei.
    Der Mann, der Anna die Hand hingestreckt hatte, war ein alter Bekannter ihrer Mutter, der etwa fünfunddreißigjährige Fürst Prosorski, der auf der Durchfahrt von seinem abgelegenen Gut hin und wieder bei den Ilmenews vorbeikam. Er kannte die Kinder von klein auf, mochte die schlichte, fröhliche Lebensart des ganzen Hauses und hatte sich bereits des öfteren am Anblick der heranwachsenden Mädchen erfreut.
    Als Anna und Natascha nacheinander ins Haus geschlüpft waren, lächelte er noch lange froh. Eine ganze Weile schon hatte er bei den Ilmenews keinen Besuch mehr gemacht, und wie es oft zu sein pflegt, in den Jahren, die er im Ausland verbracht hatte, war mit den Mädchen etwas vor sich gegangen. Sie hatten aufgehört, Mädchen zu sein, und waren unversehens ins Frauenalter eingetreten.
    Der Fürst fühlte das dunkel, ohne sich über irgend etwas Rechenschaft abzulegen, und wieder ging ihm das Bild der schlanken bloßen Beine, der dunklen aufgelösten Haare auf Annas zurückgeworfenem Kopf und ihre geschmeidige Gestalt unter dem weiten weißen Morgenkleid durch den Sinn.

    «Mein Gott, wie schön ist es hier!»sagte er, die Augen auf die Tür geheftet, hinter der die Mädchen verschwunden waren, und spürte in sich einen jugendlichen, belebenden geistigen Aufschwung.«Wie froh, wie heiter! Ach, die Jugend! »fügte er seufzend hinzu.«Dahingegangen ist unsere Jugend, Olga Pawlowna, aber sich an ihr zu ergötzen ist keinem benommen.»
    «Nun, würde die Jugend ewig währen, dann wüßte man sie nicht zu schätzen... Meinen Sie, die Leute schenkten ihr Beachtung oder schätzten sie? Nicht im geringsten», urteilte Olga Pawlowna ruhig.
    Nachdem sie noch ein wenig mit dem Fürsten geplaudert hatte, entschuldigte sie sich mit der Bemerkung, nach dem Rechten sehen zu müssen, zum Frühstück würden sich jedoch alle versammeln.
    «Hier sind Zeitungen, Fürst, lesen Sie einstweilen, ein interessanter Artikel über die Zustände in Frankreich ist dabei.»
    Olga Pawlowna entfernte sich, während die beiden Schwestern bald wieder zur Stelle waren. In den dunklen Kleidern von strenger Schlichtheit, die sie jetzt trugen, und mit ihrem glattgekämmten Haar wirkten sie ziemlich steif.
    «Schade, daß Sie sich umgezogen haben», sagte
der Fürst.«Jetzt sind Sie wohlanständige Fräuleins, vorher sahen Sie hübscher und auch natürlicher aus.»
    «So ist es schicklicher», sagte Natascha,

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