Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
an diese Dinge denken dürfen. Der Gedanke ist ebenso gefährlich wie das Wort. Jawohl, meine unvorsichtigen Gedanken hatten das Mädchen verraten. Ich betrachtete den regungslosen Himmel und wußte, daß Gott erwacht war. Ich winselte in meiner Ohnmacht.
    Zum Skandal kam es am nächsten Abend, als Veronika Schwarz einen entfernten Verwandten von Milenka Carica zurückwies, einen gutaussehenden, stattlichen Heckenschützen, der jahrelang im Süden gekämpft hatte und trotzdem unberührt geblieben war. Daß seine Unschuld zurückgewiesen wurde, war eine furchtbare Beleidigung. Der junge Mann tobte und fluchte stundenlang auf dem Hof der Pension. Auch mir drohte er, mein Unternehmen werde er ruinieren und mich in Ketten fortbringen lassen. Wortlos starrte ich den Tobenden an. Was konnte ich denn für ihn tun, da doch Veronika Schwarz gut war? Ich zuckte die Achseln. In diesem Moment sah ich die beiden Dirnen. Mit Glasstückchen in der Hand liefen sie zu Veronikas Zimmer. Ich stieß den Heckenschützen in den Schlamm und zog noch im Laufen das Messer, um ihnen zuvorzukommen. Am Treppenabsatz wurde ich niedergeschlagen. Der Schlag war nicht tödlich, ich verlor nur das Bewußtsein.
    Später ließ ich die Mörderinnen singen, was sich ereignet hatte.
    An den Beinen schleiften sie mich in den Hof. Minuten später drangen sie in Veronikas Zimmer ein. Vier hielten sie fest, obwohl sie keinen Widerstand leistete, die fünfte, die Verräterin, schnitt ihr die Kehle durch. Sie bespritzten das Zimmer mit verfluchtem Pferdeblut und Kerzenöl. Das Gebäude stand die ganze Nacht in Flammen. Die Dirnen tanzten und sangen. Der Mondschein ergoß sich über ihre Haare und Schultern und blieb an ihrer Haut kleben, als wäre er Silberstaub. Bauersleute und Erdkünstler aus der Umgebung stachen die Fässer an, brieten Fleisch, johlten, manchmal zogen sie ein Mädchen zur Seite. In dieser Nacht ergraute ich vor Schmerz. Das Gute interessierte mich so wenig wie das Verbrechen. Veronika Schwarz war tot. Mit eigener Hand aß ich verschimmeltes Brot und trank essigsauren Wein dazu. Bei Tagesanbruch deutete ich auf eine Stelle oberhalb der rauchenden Trümmer. Es war natürlich egal, ob ich hinzeigte oder nicht, niemand kümmerte sich um mich. Ich war nicht mehr der Wirt, ich war niemand mehr. Über den Trümmern der einstigen Pension schwebte die Krücke des Mädchens. Als wäre sie an den blutverschmierten Morgenhimmel gelehnt.

Milenka Carica
    Milenka Carica war eine alte, verläßliche Kundin meines Vaters. Ihre Männer erschienen häufig auf unseren Feldern, sammelten die Abgaben ein, packten auf den Hinterhöfen die Waffen und die Gebetsbücher aus, manchmal erbaten sie ein blondes Mädchen von einem der nahen Gehöfte, nach einigen Tagen schickten sie aber ordentlich die zwischen den dünnen Schenkelchen herausgefischten Bärenklauen zurück. Ich könnte noch anderes erzählen, aber das ist jetzt nicht interessant. Mein Name ist Rada Hand. Ein seltsamer Name, ich selbst habe mich auch nur schwer an ihn gewöhnen können. Als mein Vater starb, erbte ich auch einen echten Muslim von ihm, der früher im Brusa Bezistan in Sarajevo Tomatenpolierer gewesen war, bis man ihn wegen einer kleineren, aber stur widerhallenden Lüge davonjagte. Schnell tätowierte ich das umgekehrte Zeichen der Wahrheit auf Mehmeds Zunge. Er war über die Tortur nicht gerade erfreut, aber da er nicht mehr lügen konnte, war das Ergebnis auch für ihn beruhigend. Ich überließ ihm den alten Ford meines Vaters, er fuhr damit die Gegend ab und lieferte die Muster aus, auf die die Leute aus dem Süden in letzter Zeit so scharf waren. Was soll ich sagen, ich lebte im Wohlstand. Ich stand zwar nicht mit Champagner und Kaviar auf, und die kleine Tochter des Nachbarn leckte mir an ruhigen Nachmittagen auch nicht die tränentrinkenden Fruchtfliegen aus den Augen, aber meine ersten Worte am Morgen waren auch nicht pičku materinu.
    Bože miluj!
    Ej, bože miluj!
    So seufzte ich schon im frühen Morgengrauen. Im Wohlstand sind die Tage wie sanftes Streicheln. Milovati, milovati, sagte ich zu den Leuten. Die Tage sind die Diener der Gnade!
    Bože miluj! Gewiß, Wohlstand bedeutet auch, daß du, wenn dir danach ist, ohne Leidenschaft mit der Zeit umherschweifen kannst. Bei uns sagt man ja auch, das Elend sei leidenschaftlich. Ich lebte also im Wohlstand wie ein begüterter Oberkonobar, das Geschäft blühte, und dennoch, eines Tages mußte ich daran denken, das Leben sei nichts

Weitere Kostenlose Bücher