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Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Teil von ihr. Ich könnte sie nicht aus einer Reihe gleicher Knochen herauspicken, ich meine, ich kann ein Skelett nicht vom anderen unterscheiden. Aber weil Sie sagen, es ist ihres, weiß ich, dass es wahr ist, und das bringt die ganze Sache zurück. Klingt das seltsam?«
    »Überhaupt nicht«, sagte ich. »Ich habe diese Reaktion schon oft erlebt. Wir scheinen ein tiefes Bedürfnis nach einem Schlussstrich zu haben, wenn jemand stirbt, den wir lieben. Deswegen können die Eltern eines vermissten Kindes erst aufhören zu trauern, wenn die Leiche gefunden ist. Es ist uns lieber, wenn unsere Geschichten ein Ende haben, selbst wenn dieses Ende uns das Herz bricht.«
    Er sagte nichts, doch er nickte, und seine Augen glitzerten. Dann fiel sein Blick auf die Papiertüte, die in einer Ecke der Schachtel steckte. Er zögerte ganz kurz, dann öffnete er die Tüte und schaute hinein. Er sah zu mir auf und sagte: »Würde es Ihnen etwas ausmachen?«
    Ich nahm die Tüte und schüttete ihm den Inhalt vorsichtig in die aufgehaltenen Hände: die winzigen Knochen eines halb ausgewachsenen Babys, das Leena unter dem Herzen getragen hatte, als sie umgebracht worden war. Der größte Knochen, der Oberschenkel, war kleiner als ein Hähnchenschenkelknochen. »Verdammt, Doc«, sagte er. »Ich weiß nicht, wen ich mehr hasse, ihre Tante, weil sie sie umgebracht hat, oder ihren Onkel, weil er sie geschwängert hat.«
    »Ich weiß nicht, ob das eine weniger schlimm ist als das andere«, sagte ich. »Und es ändert wahrscheinlich nichts, dass der Onkel tot und die Tante im Gefängnis ist.«
    »Kein bisschen.«
    »Sie haben vor einer Weile gesagt, wenn wir diese Knochen je zurückbekommen, würden Sie sie gerne mit dem Schädel beerdigen. Empfinden Sie das immer noch so?«
    Er nickte.
    »Was ist mit den fötalen Knochen – wollen Sie die mit Leenas Knochen beerdigen?«
    »Natürlich«, sagte er. »Es war Leenas Baby.« Er unterbrach sich. »Selbst wenn es von einem scheinheiligen Dreckskerl gezeugt wurde, der seine eigene Nichte missbraucht hat.«
    »Ja«, sagte ich.
    Er holte noch einmal tief Luft, schüttelte sich und schaute dann auf die Uhr an der Wand über der Bürotür. »Ich denke, es ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um Feierabend zu machen«, meinte er. »Es ist nach fünf, und ich glaube, ich kann mich heute eh nicht mehr auf den Papierkram konzentrieren. Müssen Sie gleich wieder zurück nach Knoxville?«
    »Ich habe es nicht eilig«, sagte ich.
    »Kommen Sie mit rauf zur Farm?«
    »Ich hatte gehofft, dass Sie mich fragen.«
    »Wollen Sie mit mir fahren oder lieber hinter mir her?«
    »Ich fahre hinter Ihnen her«, sagte ich. »Dann müssen Sie mich später nicht in die Stadt zurückbringen.«
    Wir gingen zusammen hinaus, an der Bank vorbei, an den beiden schnitzenden Veteranen vorbei. Diesmal hatte O’ Conner die Schachtel mit den Knochen unter dem Arm.
    »’n Abend, Sheriff«, sagte Nummer eins. Entweder rangierte O’Conner in seiner Achtung höher als ich, oder sie platzten schier vor Neugier und ergriffen deshalb zuerst das Wort.
    »Guten Abend, Leute«, antwortete er.
    »Sind das die Knochen von dem Mädchen?«
    Zuerst sagte O’Conner nichts – ich konnte zwei verschiedene Gefühle in seiner Miene miteinander kämpfen sehen –, dann glätteten sich seine Züge, und er sagte: »Ja, Sir, das sind sie. Wir werden sie endlich anständig beerdigen.«
    »Das ist gut«, sagte der alte Mann. »Eine Schande, was diese Kitchings ihr angetan haben. Sie hat eine anständige Beerdigung verdient.«
    »Ihnen einen Guten Abend«, sagte O’Conner. »Wir sehen uns morgen früh.«
    »Nacht, Sheriff«, sagten die beiden Männer im Chor.
    O’Conner stellte die Schachtel auf den Rücksitz eines schwarzweißen Jeep Cherokee, der auf der Seite einen siebenzackigen Stern hatte.
    Ich stieg in meinen Wagen, und zusammen fuhren wir entlang der River Road rund drei Kilometer zurück in Richtung I-40, dann bogen wir auf eine Schotterstraße entlang eines kleinen Bachs, der auf der anderen Seite der Teerstraße in den Fluss mündete. Bei meiner ersten Fahrt die Schotterstraße hinauf hatte man mir die Augen verbunden und mich mit Klebeband gefesselt – ein riesiger Bergmensch namens Waylon hatte mich gekidnappt, um mich Jim O’Conner vorzuführen. Ich hatte damals nicht gewusst, was links und rechts des Schotters war. Bei meiner zweiten Fahrt hatte ich die Augen nicht verbunden gehabt und hatte gesehen, dass die Schotterpiste an einer

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