Eine hinreißend widerspenstige Lady
Gefangenen geschweift. Vierundzwanzig Stunden hatte er schon dort unten zugebracht, im Dunkeln und im Ungewissen über sein Schicksal. Er wusste nicht, ob seine Häscher ihn auspeitschen oder foltern und verstümmeln würden, ob seine Freunde ihn hier jemals fänden oder ob er dort unten allein sterben müsste.
Vielleicht stand Miles gerade dieselben Qualen aus.
Ihr Magen zog sich zusammen.
„Ich fühle mich schmutzig“, sagte sie. „Ich brauche ein Bad. Und bis Mr. Beechey und der Scheich ihre bürokratischen Rituale beendet haben, dürfte noch eine ganze Weile vergehen.“
Die Bäder waren ein sündiger Luxus, den Daphne schon bald nach ihrer Ankunft in Ägypten entdeckt hatte. In den gekachelten Hallen des Frauenbades blieb die Welt mit all ihren Sorgen außen vor. Hier konnte man sich verwöhnen und umsorgen lassen und dem Gelächter und Geplauder der anderen Frauen lauschen.
Selbst heute hatten die Bäder ihre wundersame Wirkung nicht verfehlt. Als Daphne das Bad verließ, fühlte sie sich ruhiger und konnte wieder klarer denken. Sie war sehr wohl in der Lage, Miles zu finden, sagte sie sich, als sie auf ihren Esel stieg. Sie brauchte lediglich einen Mann, der tat, was sie nicht tun konnte. In diesem Fall galt - wie Lina ganz richtig bemerkt hatte: - je größer, desto besser. Und Mr. Carsington überragte die meisten Männer um Haupteslänge. Stark musste er zudem sein, hatte er die Auseinandersetzung mit den Soldaten doch unversehrt überstanden. Mr. Carsington bräuchte nur ein wenig mehr Verstand -aber damit konnte Daphne ihm aushelfen.
Dank der findigen Eselstreiber, die sie in halsbrecherischem Tempo an Kamelen, Pferden, Händlern und Bettlern vorbei durch die engen, belebten Gassen lotsten, waren sie schon bald wieder in El-Esbekieh.
Vor dem Tor ihres Hauses stiegen sie ab. Daphne überließ es Lina, die Eselstreiber zu bezahlen, und verschwand in den schattigen Arkaden entlang dem Hof. Als sie die Treppe fast erreicht hatte, löste sich eine große Gestalt aus dem Schatten, und eine tiefe Stimme, die sie sogleich wiedererkannte, meinte empört: „Zwanzig Pfund?“
Wie angewurzelt blieb sie stehen. Ihr Herz setzte kurz aus und schlug dann weitaus weniger ruhig weiter.
Schattig war es hier, aber keineswegs so dunkel wie im Kerker der Zitadelle.
Selbst durch ihren Witwenschleier hindurch konnte sie ihn deutlich sehen. Er war groß und hatte breite Schultern, wie sie bereits im Dunkel hatte ausmachen können. Wie ausgesprochen gut er aussah, war ihr zuvor jedoch entgangen.
Schwarze Brauen wölbten sich über dunklen Augen, die sie über eine lange Nase hinweg lachend anblickten. Auch um seine allzu sinnlichen Lippen spielte ein Lächeln.
Begierde flackerte jäh in ihr auf, versengte ihre mühsam erlangte, ruhige Selbstgewissheit und ließ sie so verlegen werden wie das unsichere Schulmädchen, das sie einst gewesen war.
Doch wie Virgil ihr wiederholt zu verstehen gegeben hatte, war sie schon immer nicht so schüchtern gewesen, wie sich schickte. Und so besah sie sich auch den Rest: Rock, Weste, Hose - allesamt vorzüglich geschneidert. Hemd und Krawattentuch makellos gestärkt. Ein Blick genügte, ihrem inneren Auge ein recht anschauliches Bild des schlanken, doch kraftvollen Körpers einzubrennen, den die wie angegossen sitzenden Kleider eher betonten als verhüllten.
Der Mund wurde ihr trocken, ihr Verstand ließ sie im Stich, und einen Augenblick lang wusste sie weder ein noch aus. Aber eben nur einen Augenblick. Sowie ihr Verstand sich zurückmeldete und ihre Zunge sich löste, sagte sie: „Mr. Carsington.“
„Zwanzig Pfund“, wiederholte er. „Drei Beutel - darauf haben Sie mich heruntergehandelt. In den Bädern wurde mir gesagt, dass dies der Marktpreis für einen Eunuchen ist.“
„Ja, für einen der besseren Eunuchen“, erwiderte Daphne. „Ich hatte Sie so bald nicht erwartet. Und ein Bad haben Sie auch genommen, wie wunderbar.“ Im Geiste sah sie ihn vor sich, nur mit einem mahzam - einem türkischen Handtuch - um die Hüften ...
Sie verbot sich diesen Gedanken. Sofort. Vielleicht hätte sie in den Bädern nicht rauchen sollen, auch nicht aus Höflichkeit. Es hinterließ einen schlechten Nachgeschmack und machte einen wirr im Kopf. Sie hätte auch nicht dem anzüglichen Geplauder der Frauen lauschen sollen, hatte es ihren eingeräucherten Verstand doch auf allerlei unanständige Gedanken gebracht.
Gemeinhin nahm sie Männer gar nicht zur Kenntnis, es sei denn als
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