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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Emigranten und ihren sonderbaren weißen Katzen nichts mehr voneinander gehört hatten. Trotzdem hätte Tony Basillio sich bei mir gemeldet, wenn er umgezogen wäre.
    Wir waren alte Freunde. Wir waren gewissermaßen beide Opfer unserer Theaterambitionen geworden und hatten uns beide - jeder auf seine Art - wieder aufgerappelt.
    Tony Basillio hatte das Theater völlig frustriert verlassen und eine sehr erfolgreiche Kette von Copy-Shops eröffnet, die er zu Ehren seines geliebten Brecht »Mutter Courage« genannt hatte.
    Die einzige Erinnerung, die ihm heilig war, war die an sein hochgelobtes Bühnenbild einer Inszenierung des Stücks Die heilige Johanna der Schlachthöfe, das Mitte der siebziger Jahre in einer Kirche im West Village vierundsechzigmal gespielt worden war.
    Basillio trank und wettete beim Pferderennen und machte allen möglichen anderen Unsinn, aber sein Charakter und sein Herz waren aus purem Gold. Er sah Dinge, die andere Leute nicht sahen - und bei der Lösung von Kriminalfällen hatte er sich als unentbehrlich erwiesen. Er stand mit beiden Beinen in Leben, und es war ein feucht-fröhliches, aufregendes, gefährliches Leben.
    Er nannte mich manchmal »Schwedenmädel«, weil ich aus Minnesota stamme. Und er brauchte nur zwei Bier, um mir einen Vortrag über all meine Schwächen als Schauspielerin zu halten ... über meine völlige Unkenntnis der Geschichte des Theaters ... und über meine Avantgarde-Ambitionen.
    Wo konnte er bloß sein?
    Am nächsten Morgen rief ich alle seine Mutter-Courage-Kopierläden an. Er war nicht da. Ich erhielt ausweichende Antworten. Ich bat überall verzweifelt darum, daß er mich dringend zurückrufen solle. Und als ich seine Angestellten geradeheraus fragte, wo ihr Boß stecke, stammelten sie irgendwelchen Blödsinn.
    Gegen elf Uhr am Vormittag klingelte schließlich das Telefon. Basillio war am Apparat. Irgend etwas stimmte nicht. Seine Stimme war schwach. Er sagte, er sei im Hilton, an der Ecke Fifty-fourth Street und Sixth Avenue. Ich fragte ihn, was um alles in der Welt er da mache. Er antwortete nicht. »Komm rüber«, sagte er. »Jetzt gleich.« Ich machte mich sofort auf den Weg und nahm ein Taxi.
    Basillio sah aus, als sei er schon seit Wochen in diesem Hotelzimmer. Er war dünn, sehr dünn und sehr erregt. Seine normalerweise schon ungesunde Gesichtsfarbe, der einzige Makel seines sonst sehr attraktiven Gesichts, war noch ungesunder geworden. Sämtliche Aschenbecher waren voll. Auf dem Bett verstreut lagen diverse Aluminiumbehälter von dem Junk food, das er sich geholt hatte. Und die Brandyflasche auf der Kommode war leer.
    »Ich habe meine Frau verlassen«, sagte er. »Ich habe meine Frau und die beiden Kinder verlassen, und ich werde niemals zu ihnen zurückkehren. Sie können jeden Pfennig haben, den ich besitze. Verstehst du das?«
    Ich setzte mich neben ihn auf das Bett. Er sprang auf und begann, im Zimmer hin- und herzulaufen. Dabei fuhr er sich ununterbrochen mit den Fingern durch seine langen, zurückgebürsteten schwarz-grauen Haare.
    »Und weißt du, warum ich sie verlassen habe, Alice? Und weißt du, warum ich in den letzten beiden Wochen nicht in einem meiner Läden war?«
    »Beruhige dich, Tony, du brauchst nicht so zu brüllen«, gab ich zurück. Er starrte mich an. »Weil das einzige, was mir jemals etwas bedeutet hat, das Theater ist. Schauspieler auf der Bühne. Ich werde zum Theater zurückgehen, und es ist mir scheißegal, wenn ich dabei verhungere. Und es ist mir auch egal, wenn ich den Rest meines Lebens damit verbringe, Bühnenbilder zu entwerfen, die niemals benutzt werden, die nie ein Mensch zu Gesicht bekommt. Verstehst du das, Alice? Ich bin jetzt vierundvierzig. Ich werde mit einer Vision sterben. Verstehst du mich, Alice?«
    »Beruhige dich, Tony.«
    Er fuchtelte wütend mit einem Arm in der Luft herum. »Wer zum Teufel bist du, daß du dir anmaßt, mir vorzuschreiben, daß ich mich beruhigen soll? Du bist eine verdammte Dilettantin, Alice. Ein bißchen Off-Off-Broadway, ein bißchen Catsitting, ein bißchen Detektiv spielen.«
    Plötzlich wurde sein Gesicht sehr blaß. »O Alice, es tut mir leid. Ich habe einfach eine zu große Klappe.« Er setzte sich wieder neben mich auf das Bett. Wir fingen beide an zu weinen. Dann umarmten wir uns.
    Und dann passierte etwas zwischen uns beiden. Er begann, mich leidenschaftlich zu küssen, als ob wir zwanzig Jahre jünger wären - und ich erwiderte seinen Kuß.
    Dann schliefen wir miteinander.

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