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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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dass jemand krank gewesen wäre«, sagte ich.
    Er offenbar schon. »Die Freundin von dem Typ, der die Villa gemietet hatte. Diese neurotische Amerikanerin mit den gebleichten
Haaren. Wie hieß die gleich wieder? Alice? Alix? Sie klagte dauernd über Halsweh, die ganze Zeit.«
    »Du hast ein phänomenales Gedächtnis.«
    »Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken.«
    Plötzlich stieg ein Bild in mir auf, das ich vier Jahrzehnte lang aus meinem Bewusstsein verbannt hatte. Die Villa in Estoril, von der Sonne strahlend weiß gebleicht. Der heiße, goldgelbe Sandstrand unter der Terrasse, die Abendessen, bei denen wir alle betrunken waren und die Luft von Sex und Anzüglichkeiten flirrte, der Aufstieg zu dem verwunschenen Castelo in Sintra, das Schwimmen im unablässig flüsternden blauen Meer, das ewige Warten auf dem großen Platz vor der Kathedrale in Lissabon, um am toten Salazar vorbeizudefilieren … Das alles lebte in grellbuntem Technicolor wieder auf, einer jener Urlaube, die eine Brücke zwischen Jugend und Reife schlagen, die lauernden Gefahren einer solchen Reise, von der man als ein anderer zurückkehrt. Ein Urlaub, der mein ganzes Leben verändern sollte. Ich nickte. »Ja. Zeit zum Überlegen hattest du sicher.«
    »Wenn das der Grund war, dann hätte ich natürlich vorher ein Kind zeugen können.«
    Auf seinen ernsten Ton konnte ich nicht ganz einsteigen. »Nicht einmal du hättest viel Zeit dafür gehabt. Wir waren ja erst einundzwanzig. Heutzutage mögen manche Mädchen schon mit dreizehn schwanger sein, aber damals war es anders.« Ich lächelte beschwichtigend, aber er sah mich gar nicht an, sondern zog die Schublade eines eleganten Schreibtischs unter dem Lawrence-Porträt auf, nahm einen Umschlag heraus und reichte ihn mir. Kein neuer Brief. Den blassen Stempel entzifferte ich als »Chelsea. 23. Dezember. 1990.«
    »Bitte lies.«
    Ich faltete das Blatt behutsam auseinander. Der Brief war mit Schreibmaschine getippt, ohne handschriftliche Anrede oder Unterschrift. »Du Mistkerl«, begann er. Na, reizend. Ich sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf.
    »Nur weiter im Text.«
    »Du Mistkerl, es ist bald Weihnachten. Und es ist spät, ich bin betrunken und deshalb mutig genug, Dir zu sagen, dass ich seit neunzehn
Jahren mit einer Lüge leben muss. Deinetwegen. Diese Lüge habe ich jeden Tag vor Augen, und schuld daran bist Du. Niemand wird je die Wahrheit erfahren, und ich werde diesen Brief wahrscheinlich eher verbrennen als abschicken. Aber eigentlich solltest Du wissen, wohin deine Falschheit und meine Schwäche geführt haben. Ich verfluche Dich nicht, das nicht, aber ich verzeihe Dir auch nicht, dass mein Leben diese Richtung genommen hat. Das habe ich nicht verdient.«
    Ich starrte den Brief an. »Abgeschickt wurde er jedenfalls«, sagte ich. »Fragt sich, ob mit Absicht.«
    »Vielleicht lag er herum, und jemand hat ihn zur Post gebracht, ohne ihr Wissen.«
    Das schien mir sehr wahrscheinlich. »Na, das war dann wohl ein Schock für sie.«
    »Bist du sicher, dass es sich um eine Frau handelt?«
    Ich nickte. »Du nicht? ›Ich muss mit einer Lüge leben.‹ ›Deine Falschheit und meine Schwäche.‹ Nach Macho klingt das für mich nicht. Und dem ganzen Tenor nach geht es um Liebesdinge. Hört sich nicht so an, als fühlte sich jemand wegen einer Fehlinvestition hereingelegt. Also wurde der Brief von einer Frau verfasst. Außer du hättest dich später neu orientiert.«
    »Der Brief stammt von einer Frau.«
    »Na also.« Ich lächelte. »Es gefällt mir, dass sie dich nicht verfluchen kann. Der Ton erinnert mich an Keats. Wie ein Vers aus Isabella oder der Basilikumtopf : ›Sie weint allein, um Freuden, die nie kommen. ‹«
    »Was, glaubst du, hat das alles zu bedeuten?«
    Mir war nicht klar, wie da überhaupt Zweifel bestehen konnten. »Kein großes Geheimnis«, sagte ich. Aber er sah mich abwartend an, also fasste ich es in Worte: »Offenbar hast du jemanden geschwängert. «
    »Genau.«
    »Mit Falschheit meint sie vermutlich, dass du ihr ewige Liebe geschworen hat, damit sie die Hüllen fallen lässt.«
    »Das klingt sehr hart.«

    »Findest du? Das war nicht meine Absicht. Wie alle Jungs damals hab ich’s oft genug selber damit versucht. Ihre ›Schwäche‹ lässt darauf schließen, dass du erfolgreich warst.« Mir fiel Damians ursprüngliche Frage nach der Bedeutung des Briefs ein. »Warum fragst du überhaupt? Gibt es noch eine andere Interpretation? Es könnte sein, dass diese Frau in dich verliebt

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