Eine Krone für Alexander (German Edition)
Stimmen der vielen Frauen, die sich hier
versammelt hatten. Alexander versteckte sich wie so oft oben auf der Treppe und
sah zu, wie die Frauen mysteriöse Gegenstände hervorholten: Tierfelle und
Masken, Musikinstrumente, Fackeln und lange Holzstäbe. Um besser sehen zu
können, kletterte er immer weiter nach unten, bis Olympias aufsah und ihn
entdeckte. Sie winkte ihn zu sich und zeigte ihm den Stab, den sie gerade mit
Efeu, Weinlaub und bunten Bändern dekoriert hatte. Auf der Spitze saß ein
großer Pinienzapfen.
„Das ist ein Thyrsos-Stab, das Zeichen des Dionysos und aller,
die ihn verehren. Jedes Frühjahr kommt der Gott zu uns Menschen, zusammen mit
seinem Gefolge aus Nymphen und anderen Wesen, die teils göttlich, teils
menschlich sind, teils aber auch tierisch, wie die Silene und Satyrn.“ Von
Silenen und Satyrn hatte er schon gehört und sogar Bilder gesehen. Sie waren
hässliche kleine Männer mit dicken Bäuchen, Hufen und Pferdeschwänzen. „Die
Frauen ziehen in die Wälder, um Dionysos zu verehren. Sie schließen sich seinem
Gefolge an, und zusammen tanzen sie durch die Nacht und feiern den Gott, wie es
seit alter Zeit Brauch ist. Man nennt sie Mänaden oder Bakchen. Bakchos ist ein
anderer Name für Dionysos.“
„Nur Frauen?“, fragte er.
„Nur Frauen“, bekräftigte Olympias. „Männer sind verboten.“
Er machte ein enttäuschtes Gesicht, doch sie beugte sich zu
ihm und flüsterte in sein Ohr: „Möchtest du dieses Jahr mitkommen?“
„Ja“, flüsterte er zurück. „Sehe ich dann auch die Satyrn
und Silene und Nymphen?“
„Vielleicht.“ Olympias legte
ihm den Finger auf den Mund. „Aber du darfst es niemandem verraten!“
Feuer brannten, Trommeln dröhnten, das rhythmische Schlagen
von Tamburinen und Rasseln hallte durch die Nacht, untermalt vom hohen,
schrillen Klagen der Flöten. Die Frauen tanzten im Kreis, sie fassten sich an
den Armen und bildeten eine Kette, trennten sich wieder und tanzten allein weiter,
jede für sich und doch auf geheimnisvolle Weise eins miteinander und mit ihrem
Gott. Sie sangen und tanzten und schüttelten dabei ihre mit Efeu bekränzten
Haare, die ihnen lang und offen über die Schultern fielen. Über den flatternden
Chitonen trugen sie Felle von Rehen und Hirschen und anderen Tieren. Hin und
wieder löste sich eine aus dem Kreis und tanzte hinüber zu dem großen Mischkrug
mit Wein, der zwischen den Bäumen auf dem Waldboden stand.
Olympias trat in die Mitte der Tanzenden. Über ihrem Chiton
trug sie das gefleckte Fell eines Leoparden. Trotz der Entfernung konnte
Alexander erkennen, dass ihr Gesichtsausdruck entrückt war, die Augen geweitet,
der Mund in Verzückung geöffnet. Sie hob den Thyrsos-Stab, um den sich eine
ihrer Schlangen ringelte, schwenkte mit der anderen Hand eine Fackel und warf
den Kopf in den Nacken, sodass ihr offenes Haar ihr in den Rücken fiel.
„Euoi, Bakche!“, schrie sie mit gellender Stimme.
„Euoi, Bakche!“, stimmten die anderen Frauen ein, und
Alexander wurde überwältigt von dem Anblick Hunderter verzückter Frauen in
Tierfellen, die ihre Stäbe und Fackeln schwangen und wieder und wieder den
Namen ihres Gottes riefen: „Euoi, Bakche! Euoi, Bakche!“
Der Zug der Mänaden setzte sich in Bewegung, Olympias an der
Spitze, und begann, den Berg hinaufzusteigen. Lanika nahm Alexanders Hand, und
sie folgten den Frauen. Später erinnerte er sich an wenig mehr als an das
flackernde Licht der Fackeln, an die aufwühlende Musik und den ekstatischen
Tanz der Mänaden, die mit gellenden Euoi-Bakche-Rufen durch den Wald schwärmten.
Silene oder Satyrn bekam er
nicht zu sehen. Bei den Nymphen war er nicht so sicher, denn er wusste nicht,
wie er sie von sterblichen Frauen unterscheiden sollte. Auch dem Gott selbst
begegnete er in dieser Nacht nicht (obwohl man bei Göttern niemals sicher sein
konnte). Als er müde wurde, trug Lanika ihn wieder den Berg hinab, wo er den
Rest der Nacht schlafend verbrachte.
Einige Nächte später wurde er wieder Zeuge einer lautstarken
Auseinandersetzung. Lanika zog ihm wie immer die Decke über den Kopf, und wie immer
bekam er trotzdem alles mit. Zuerst die laute Stimme des Königs.
„Was hast du dir dabei gedacht? Schlimm genug, dass du als
Gemahlin des Königs bei solchen Ausschweifungen mitmachst – musst du auch noch
das Kind mitschleppen?“
„Das sind keine Ausschweifungen, sondern altehrwürdige
Riten! Du beleidigst die Götter! Aber du bist eben nur ein primitiver
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