Eine Krone für Alexander (German Edition)
mehr auf Kynna oder Audata.
Der älteste und am bedeutendsten aussehende der drei Männer
drapierte umständlich das Himation, das er über dem Chiton trug, auf seiner
Schulter und ergriff das Wort. „Mein König, wir haben deinen Sohn sorgfältig
und nach den Regeln der ärztlichen Kunst untersucht. Wir sind übereinstimmend
zu folgendem Ergebnis gekommen: Körperlich ist der kleine Arrhidaios gesund und
seinem Alter entsprechend entwickelt. Aber sein Verstand entspricht dem eines
Kindes, das höchstens halb so alt ist wie er.“
Alle Anwesenden schienen den Atem anzuhalten.
Nach einer Pause fragte der König: „Kann er den Umgang mit
Waffen erlernen?“
Der Arzt schüttelte bedauernd den Kopf. „Körperlich ist Arrhidaios,
wie schon gesagt, gesund. Trotzdem glauben wir nicht, dass er für eine militärische
Ausbildung geeignet ist.“
„Was ist mit Lesen und Schreiben?“
„Vielleicht kann er es in einigen Jahren versuchen.“
Philinna legte ihrem Sohn beschützend die Hände auf die
Schultern. „Arrhidaios war bisher ein wenig langsam in seiner Entwicklung, das
ist alles. Er braucht nur etwas Zeit.“
Der Arzt wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu. „Es tut mir
leid, das sagen zu müssen, aber wahrscheinlich wird sein Rückstand mit der Zeit
eher größer werden als kleiner. Unserer Meinung nach wird er niemals ein normaler
Mensch sein, auch als Erwachsener nicht.“
„Wie könnt ihr da so sicher sein?“, fauchte Philinna kämpferisch.
„Er ist erst acht! Niemand kann wissen, was in zehn Jahren sein wird! Auch ihr
könnt nicht in die Zukunft blicken. Oder seid ihr das Orakel von Delphi?“
Einer der beiden anderen Ärzte mischte sich ein. „Jeder Einzelne
von uns ist ein angesehener Arzt, der gemäß den Lehren des Hippokrates
ausgebildet wurde und über langjährige Berufserfahrung verfügt. Doch man muss
weder Arzt noch Seher sein, um zu erkennen, dass Arrhidaios in seiner geistigen
Entwicklung zurückgeblieben ist. Unsere Erfahrung sagt uns, dass sich daran
nichts ändern wird. So leid es uns tut.“
Der König sagte: „Niemand stellt eure Qualifikation infrage.
Ich bin sicher, dass ihr nach den Regeln eurer Kunst zu eurem Urteil gekommen
seid.“ Er sah Arrhidaios prüfend an. Der Junge wirkte völlig teilnahmslos und
schien gar nicht zu begreifen, dass es um ihn ging, vielleicht das deutlichste
Zeichen, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war. „Ich möchte, dass Arrhidaios
in ein oder zwei Jahren noch einmal untersucht wird. Bis dahin danke ich euch
für eure Dienste.“
Die Ärzte verstanden, dass sie entlassen waren, verbeugten
sich und verließen den Garten. Sobald sie außer Sichtweite waren, fiel Philinna
neben ihrem Sohn auf die Knie, drückte ihn an sich und begann zu schluchzen.
Niemand sagte etwas.
„Die Ärzte irren sich! Alles, was er braucht, ist ein
bisschen Zeit!“
Das Schluchzen wurde lauter.
„Eines Tages wird mein Sohn ein starker und kluger Mann
sein. Der erstgeborene Sohn des Königs und sein würdiger Erbe!“
„Unsinn!“, mischte sich Königin Eurydika mit schneidender
Stimme ein. „Allen ist klar, dass der Junge niemals ein normaler Mensch sein
wird, geschweige denn ein würdiger Erbe für das Königreich. Wir müssen der
Wahrheit ins Gesicht sehen.“
Philinnas Schluchzen wurde stärker. Verzweifelt presste sie
ihr tränennasses Gesicht an das ihres Sohnes. Plötzlich richtete sie sich auf
und zeigte mit dem Finger auf Olympias. „Das ist das Werk der Hexe! Sie war
schon immer zerfressen vor Neid, weil Arrhidaios der älteste Sohn des Königs
ist! Sie hat ihn verhext, damit er krank wird und sie ihren eigenen Sohn an
seine Stelle schieben kann!“
Alle starrten Olympias an und zu Alexanders Unbehagen auch
ihn selbst. Ihren Gesichtern nach zu urteilen, hielten sie den Gedanken, dass
seine Mutter Arrhidaios verhext haben könnte, durchaus nicht für abwegig.
Olympias saß scheinbar entspannt auf ihrem Stuhl. Von der Seite konnte er ein
kaltes Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen. Auch ihre Stimme war kalt, kalt vor
Verachtung und unterdrücktem Hass.
„Es war nicht nötig, deinen Sohn zu verhexen“, sagte sie zu
Philinna. „Er war schon immer schwachsinnig, von Geburt an. Jeder weiß es, nur
du willst es nicht wahrhaben.“
„Das ist nicht wahr! Arrhidaios war ein ganz normales Kind.
Dann hast du ihn verhext oder vielleicht auch vergiftet. Glaubst du, wir wissen
nicht, was nachts bei dir vor sich geht? Dass du abscheuliche Rituale
durchführst und
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