Eine Krone für Alexander (German Edition)
Zaubertränke braust? Es ist doch merkwürdig, dass von vier
gesunden Frauen hier du die einzige bist, deren Söhne nicht sterben oder krank
werden!“
Plötzlich stand Alexander das nächtliche Ritual vor Augen,
dessen Zeuge er geworden war: seine Mutter im flackernden Schein des Feuers,
Pyrrha mit der geheimnisvollen Puppe, der Hund, Lanikas seltsame Reaktion –
alles erschien ihm nun in einem anderen Licht.
Zum ersten Mal ließ sich Phila vernehmen, die Frau, deren
Kinder alle gestorben waren. „Jeder weiß, dass du zu Hekate betest und böse
Geister anrufst“, zischte sie Olympias hasserfüllt zu. „Du hängst Kulten an,
die anständige Frauen meiden. Du läufst mit den Mänaden in die Berge und nimmst
an ihren Ausschweifungen teil. Wer weiß, wie du an deinen Sohn gekommen bist!“
Olympias sprang auf die Füße und begann zu schreien. „Wie
kannst du es wagen! Du verleumdest mich, weil du nicht fähig bist, dem König
ein gesundes Kind zu gebären, geschweige denn einen Erben! Ich bin die Tochter
eines Königs! Ich habe es nicht nötig, unfruchtbare alte Schachteln wie dich zu
verhexen!“ Ihre Augen schleuderten Blitze in die Runde. „Oder billige Tanzschlampen!
Oder schmutzige Barbarenweiber!“
Sofort brach unvorstellbarer Lärm los, alle Anwesenden
schrien wild durcheinander. Kein Mensch beachtete den König. Schließlich erhob
sich Eurydika von ihrem Sessel. Sie nahm ihrer Dienerin den Sonnenschirm weg,
klappte ihn zusammen und schmiss ihn auf den Boden.
„Schluss jetzt!“
Was immer sie auch früher verbrochen haben mochte, eines war
klar: Eurydika wusste, wie man sich Respekt verschaffte. Es wurde schlagartig
still.
„Benehmt euch gefälligst, wie es sich für Frauen eures
Ranges gehört! Ihr alle seid rechtmäßige Gemahlinnen des Königs! In diesem
Palast gibt es keine Barbarinnen oder Schlampen!“ Offenbar ein Vorschlag zur
Güte, denn zumindest Audata war als Illyrerin ja tatsächlich eine Barbarin. „Philinna,
es tut mir leid für deinen Sohn, aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen.
Es hat keinen Sinn, Beschuldigungen zu erheben, die nicht zu beweisen sind.
Allerdings wäre es hilfreich, wenn alle Anwesenden sich so verhalten würden,
dass sie keinen Anlass für Verdächtigungen bieten!“ Dabei schoss Eurydika einen
giftigen Blick in Richtung Olympias ab.
Eurydika setzte sich wieder hin, und alle anderen nach und
nach ebenso. Inmitten des betretenen Schweigens, das sich auszubreiten begann,
bemerkte Alexander, wie der König zu seiner Mutter herübersah. Einen Augenblick
lang fürchtete er, dass er mit ihr streiten wollte wie so oft, doch dann fiel
ihm auf, dass das einzige Auge des Königs gar nicht auf Olympias gerichtet war,
sondern auf ihn selbst. Bislang hatte ihm der König nur selten Beachtung
geschenkt, und gerade in diesem Augenblick legte Alexander zufällig nicht den
geringsten Wert darauf, im Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu stehen.
Der König winkte ihn zu sich. Dabei fiel ein Sonnenstrahl
auf seine Hand und brachte etwas an ihr zum Leuchten. Alexander stand auf und
ging zu seinem Vater hinüber.
„Du bist eben sieben geworden, nicht wahr, Alexander?“
Er nickte. Zu seiner Erleichterung begann der König zu
lächeln, für seine Verhältnisse sogar recht freundlich. Er legte ihm die Hand
auf die Schulter, und Alexander erkannte, was zuvor aufgeleuchtet hatte: Es war
ein goldener Ring mit einem großen, dunkelroten Stein.
„Es wird Zeit, dass du zu einem Mann erzogen wirst. Du wirst
so bald wie möglich bei deiner Mutter ausziehen.“
Philipp stand auf und ging, schnell und ohne
zurückzublicken. Die verbliebenen Anwesenden starrten Alexander an, und die
meisten Blicke waren alles andere als freundlich. Schlagartig wurde ihm klar,
dass nun er und nicht Arrhidaios der voraussichtliche Erbe des Königs war –
eines Tages würde er selbst König sein. Ein Gedanke, der ihn mit Stolz
erfüllte. Und zugleich eine Faszination auf ihn ausübte, wie er sie nie zuvor
gespürt hatte.
9
„Wach auf!“
Lanika schüttelte ihn, bis er schlaftrunken die Augen
öffnete. „Du musst aufwachen!“
Sie richtete ihn vorsichtig auf und wickelte ihn in eine
Decke. Hinter ihr stand Pyrrha in der Tür und hielt eine Fackel. Es war dunkel
im Raum. Lanika half ihm beim Aufstehen, nahm seine Hand und ging dann mit ihm
die Treppe hinunter. Das große Gemach unten war von flackerndem Licht erfüllt.
Olympias wartete am Fuß der Treppe. „Gib ihn mir und geh!“,
flüsterte
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