Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
sich aus der Steady-state-Theorie ergaben. Schließlich bewies auch die Entdeckung der kosmischen Mikrowellenstrahlung durch Penzias und Wilson im Jahre 1965, daß das Universum vor langer Zeit viel dichter gewesen sein muß. Deshalb mußte man die Steady-state-Theorie aufgeben.
Einen weiteren Versuch, die Urknalltheorie und damit die Vorstellung von einem Anfang der Zeit zu widerlegen, unternahmen die beiden russischen Wissenschaftler Jewgenij Lifschitz und Isaak Chalatnikow im Jahre 1963. Sie betonten, der Urknall sei eine Besonderheit der Friedmannschen Modelle, die ja nur Annäherungen an das wirkliche Universum darstellten. Vielleicht, so argumentierten sie, enthielten von allen denkbaren Modellen, die dem wirklichen Universum in etwa entsprächen, nur die drei Friedmannschen eine Urknall-Singularität. In ihnen strebten alle Galaxien direkt voneinander fort, und so sei es nicht verwunderlich, daß sie sich nach den Friedmannschen Lösungen irgendwann in der Vergangenheit am selben Ort befunden hätten. Im wirklichen Universum jedoch entfernten sich die Galaxien nicht auf direktem Weg voneinander; vielmehr hätten sie auch kleine Seitengeschwindigkeiten. Deshalb müßten sie ursprünglich keineswegs alle am selben Ort gewesen sein; es wäre auch möglich, daß sie sich nur in großer Nähe zueinander befunden hätten. Vielleicht sei unser gegenwärtiges expandierendes Universum nicht aus einer Urknall-Singularität hervorgegangen, sondern aus einer früheren Kontraktionsphase: Beim Kollaps des Universums seien womöglich nicht alle Teilchen kollidiert, sondern hätten sich auch aneinander vorbei und dann voneinander fortbewegt und dadurch die gegenwärtige Expansion des Universums ausgelöst. Wie könne man da mit Sicherheit behaupten, das reale Universum habe mit einem Urknall begonnen? Lifschitz und Chalatnikow untersuchten Modelle des Universums, die annähernd den Friedmannschen entsprachen, aber zugleich den Unregelmäßigkeiten und zufälligen Geschwindigkeiten der Galaxien im realen Universum Rechnung trugen. Sie zeigten, daß solche Modelle mit einem Urknall beginnen könnten, auch wenn die Galaxien sich nicht immer direkt voneinander fortbewegen würden, behaupteten aber, daß dies nur in bestimmten Ausnahmemodellen möglich sei, in denen sich alle Galaxien genau auf die richtige Weise bewegten. Da es hingegen unendlich viel mehr den Friedmannschen Lösungen ähnelnde Modelle ohne Urknall zu geben scheine, müsse man zu dem Schluß gelangen, der Urknall sei pure Fiktion.
Später erkannten die beiden Russen jedoch, daß es eine sehr viel allgemeinere Klasse von Modellen der Friedmannschen Art mit Singularitäten gibt, ohne daß sich die Galaxien in irgendeiner besonderen Weise bewegen müßten. Daraufhin zogen sie ihre These 1970 zurück.
Wertvoll ist Lifschitz’ und Chalatnikows Arbeit, weil sie gezeigt hat, daß das Universum eine Singularität, einen Urknall, gehabt haben könnte, wenn die Allgemeine Relativitätstheorie richtig ist. Doch die entscheidende Frage war damit noch nicht gelöst: Sagt die Allgemeine Relativitätstheorie voraus, daß unser Universum einen Urknall, einen Anfang in der Zeit, gehabt haben muß ? Die Antwort darauf lieferte ein ganz anderer, 1965 von dem britischen Mathematiker und Physiker Roger Penrose vorgeschlagener Ansatz. Anhand des Verhaltens der Lichtkegel in der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Tatsache, daß die Gravitation stets als Anziehungskraft wirkt, zeigte Penrose, daß ein Stern, der unter dem Einfluß der eigenen Schwerkraft in sich zusammenstürzt, in eine Region eingeschlossen ist, deren Oberfläche und damit zwangsläufig auch deren Volumen schließlich auf Null schrumpft. Die Materie des Sterns wird also auf ein Volumen von der Größe Null komprimiert, so daß die Dichte der Materie und die Krümmung der Raumzeit unendlich werden. Mit anderen Worten: Es liegt nach einem solchen Prozeß in einer Region der Raumzeit eine Singularität vor. Sie wird als Schwarzes Loch bezeichnet.
Auf den ersten Blick schien Penroses Ergebnis nur für Sterne zu gelten und ohne Bedeutung für die Frage zu sein, ob es jemals eine Urknall-Singularität des gesamten Universums gegeben habe. Doch zu der Zeit, da Penrose sein Theorem entwickelte, stand ich kurz vor Abschluß meines Studiums und suchte nach einem Dissertationsthema. Zwei Jahre zuvor hatte man bei mir ALS, eine Motoneuronen-Erkrankung, festgestellt und mir zu verstehen gegeben, daß ich nur noch ein bis
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