Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
Erlöschens der Sonne längst ausgestorben sein, es sei denn, wir hätten inzwischen Kolonien außerhalb unseres Sonnensystems gegründet!
Allen Friedmannschen Lösungen ist eines gemeinsam: Der Abstand zwischen benachbarten Galaxien muß irgendwann in der Vergangenheit (vor zehn bis zwanzig Milliarden Jahren) null gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt, den wir Urknall nennen, wären die Dichte des Universums und die Krümmung der Raumzeit unendlich gewesen. Da die Mathematik mit unendlichen Zahlen im Grunde nicht umgehen kann, bedeutet dies, daß die Allgemeine Relativitätstheorie (auf der die Friedmannschen Lösungen beruhen) einen Punkt im Universum voraussagt, an dem die Theorie selbst zusammenbricht. Dieses Punkt ist ein Beispiel für das, was Mathematiker eine Singularität nennen. Tatsächlich gehen alle unsere wissenschaftlichen Theorien von der Voraussetzung aus, daß die Raumzeit glatt und nahezu flach ist. Deshalb versagen die Theorien angesichts der Urknall-Singularität, wo die Krümmung der Raumzeit unendlich ist. Also könnte man sich, selbst wenn es Ereignisse vor dem Urknall gegeben hat, bei der Bestimmung dessen, was hinterher geschehen ist, nicht auf sie beziehen, weil die Vorhersagefähigkeit am Urknall endet. Entsprechend können wir keine Aussagen über das machen, was vorher war, wenn wir, wie es der Fall ist, nur wissen, was seit dem Urknall geschehen ist. Soweit es uns betrifft, können Ereignisse vor dem Urknall keine Konsequenzen haben und sollten infolgedessen auch nicht zu Bestandteilen eines wissenschaftlichen Modells des Universums werden. Wir müssen sie deshalb aus dem Modell ausklammern und sagen, daß die Zeit mit dem Urknall begann.
Vielen Menschen gefällt die Vorstellung nicht, daß die Zeit einen Anfang hat, wahrscheinlich weil sie allzusehr nach göttlichem Eingriff schmeckt. (Dagegen hat sich die katholische Kirche das Urknallmodell zu eigen gemacht und 1951 offiziell erklärt, es stehe im Einklang mit der Bibel.) Deshalb wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Urknalltheorie zu widerlegen. Breiteste Anerkennung fand die sogenannte Steady state-Theorie, die Theorie des stationären Zustands. Zwei aus dem von den Nationalsozialisten annektierten Österreich geflohene und ein britischer Wissenschaftler formulierten sie 1948: Hermann Bondi und Thomas Gold sowie Fred Hoyle, der während des Krieges mit ihnen an der Entwicklung des Radars gearbeitet hatte. Ihr Gedanke war, daß sich aus ständig neuentstehender Materie beim Auseinanderdriften der Galaxien ständig neue Galaxien in den Lücken zwischen ihnen bilden. Das Universum sähe demnach zu allen Zeiten und an allen Punkten des Raums in etwa gleich aus. Die Steady-state-Theorie verlangte eine Abwandlung der Allgemeinen Relativitätstheorie, weil sonst die ständige Entstehung von Materie nicht möglich wäre, doch handelte es sich dabei um so geringe Mengen (ungefähr ein Teilchen pro Kubikkilometer und Jahr), daß sie nicht in Widerspruch zu den experimentellen Daten standen. Die Theorie erfüllte die Wissenschaftlichkeitskriterien, die ich im ersten Kapitel genannt habe: Sie war einfach und machte eindeutige Vorhersagen, die sich durch Beobachtung überprüfen ließen. Eine dieser Vorhersagen lautete, daß die Zahl der Galaxien oder ähnlicher Objekte in jedem gegebenen Raumvolumen zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort im Universum gleich sein müsse. Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre führte in Cambridge eine Gruppe von Astronomen unter Leitung von Martin Ryle (der während des Krieges mit Bondi, Gold und Hoyle am Radar gearbeitet hatte) eine Untersuchung der Radioquellen im Weltraum durch. Die Cambridge-Gruppe zeigte, daß die meisten dieser Radioquellen außerhalb unserer Galaxis liegen müssen (tatsächlich ließen sich viele als andere Galaxien identifizieren) und daß es mehr schwache als starke Quellen gibt. Das Team deutete die schwachen Quellen als die weiter entfernten und die stärkeren als die der Erde näher gelegenen Objekte. Danach schien, gemessen pro Volumeneinheit des Raums, die Zahl der fernen Quellen zu überwiegen. Dieses Ergebnis ließ zwei Interpretationen zu: Entweder wir befinden uns im Zentrum einer großen Region des Universums, in der es weniger Quellen als anderswo gibt, oder die Radioquellen waren in der Vergangenheit – zu dem Zeitpunkt, da die Wellen auf die lange Reise zu uns geschickt wurden – zahlreicher als heute. Beide Erklärungen widersprachen den Vorhersagen, die
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