Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
Heisenberg wies nach, daß die Ungewißheit hinsichtlich der Position des Teilchens mal der Ungewißheit hinsichtlich seiner Geschwindigkeit mal seiner Masse nie einen bestimmten Wert unterschreiten kann: die Plancksche Konstante. Dieser Grenzwert hängt nicht davon ab, wie man die Position oder Geschwindigkeit des Teilchens zu messen versucht, auch nicht von der Art des Teilchens: Die Heisenbergsche Unschärferelation ist eine fundamentale, unausweichliche Eigenschaft der Welt.
Die Unschärferelation hat weitreichende Folgen für unsere Sicht der Welt. Selbst heute, mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Formulierung, haben viele Philosophen diese Konsequenzen noch nicht in ihrer vollen Bedeutung erfaßt, und sie sind nach wie vor Gegenstand heftiger Kontroversen. Die Unschärferelation bereitete dem Laplaceschen Traum von einem absolut deterministischen Modell des Universums ein jähes Ende: Man kann künftige Ereignisse nicht exakt voraussagen, wenn man noch nicht einmal in der Lage ist, den gegenwärtigen Zustand des Universums genau zu messen! Nur für ein übernatürliches Wesen, das den gegenwärtigen Zustand des Universums beobachten kann, ohne auf ihn einzuwirken, könnten Naturgesetze erkennbar sein, die alle Ereignisse vollständig determinieren. Doch solche Modelle des Universums sind ohne großes Interesse für uns normale Sterbliche. Wir sollten uns lieber an jenes ökonomische Prinzip halten, das als Ockhams Rasiermesser bezeichnet wird, und alle Elemente der Theorie herausschneiden, die sich nicht beobachten lassen. Dieser Ansatz veranlaßte Heisenberg, Erwin Schrödinger und Paul Dirac in den zwanziger Jahren dazu, die Mechanik zu revidieren, so daß eine neue Theorie entstand, die Quantenmechanik, die auf der Unschärferelation beruht. In dieser Theorie haben Teilchen nicht mehr getrennte, genau definierte Positionen und Geschwindigkeiten, die sich nicht beobachten lassen, sondern nehmen statt dessen einen Quantenzustand ein, der eine Kombination aus Ort und Geschwindigkeit darstellt.
Grundsätzlich sagt die Quantenmechanik nicht ein bestimmtes Ergebnis für eine Beobachtung voraus, sondern eine Reihe verschiedener möglicher Resultate, und sie gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit jedes von ihnen eintreffen wird. Mit anderen Worten: Nähme man die gleiche Messung an einer großen Zahl ähnlicher Systeme mit gleichen Anfangsbedingungen vor, so erhielte man in einer bestimmten Zahl von Fällen das Ergebnis A, in einer anderen Zahl von Fällen das Ergebnis B und so fort. Man könnte annähernd die Häufigkeit des Ergebnisses A oder B vorhersagen, aber es wäre unmöglich, das spezifische Ergebnis einer einzelnen Messung zu prognostizieren. Die Quantenmechanik führt also zwangsläufig ein Element der Unvorhersagbarkeit oder Zufälligkeit in die Wissenschaft ein. Einstein wehrte sich heftig gegen diese Vorstellung, obwohl er wesentlich an ihrer Entwicklung beteiligt war – der Nobelpreis ist ihm für seinen Beitrag zur Quantentheorie verliehen worden. Trotzdem wollte er nie wahrhaben, daß das Universum vom Zufall regiert wird. «Gott würfelt nicht» – mit diesem berühmt gewordenen Satz faßte er seine Empfindungen zusammen. Doch die meisten anderen Wissenschaftler waren bereit, die Quantenmechanik zu akzeptieren, weil sie vollkommen mit den experimentellen Daten übereinstimmte. Und sie hat sich so gut bewährt, daß sie fast der gesamten heutigen Wissenschaft und Technologie zugrunde liegt. Sie bestimmt das Verhalten von Transistoren und integrierten Schaltkreisen, die wichtige Bausteine elektronischer Geräte wie Fernseher und Computer sind, und sie bildet auch die Grundlage der modernen Chemie und Biologie. Die einzigen Gebiete der Physik, in die die Quantenmechanik noch nicht in geeigneter Weise eingegliedert werden konnte, sind die Gravitation und der großräumige Aufbau des Universums.
Obwohl das Licht aus Wellen besteht, erfahren wir aus Planck Quantenhypothese, daß es sich in gewisser Hinsicht so verhält, als setze es sich aus Teilchen zusammen: Licht kann nur in Paketen, in Quanten, ausgestrahlt und absorbiert werden. Entsprechend geht aus der Heisenbergschen Unschärferelation hervor, daß Teilchen sich in gewisser Hinsicht wie Wellen verhalten: Sie haben keinen festlegbaren Ort, sondern sind mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung «verschmiert». Die Theorie der Quantenmechanik beruht auf einer völlig neuen Mathematik, die nicht mehr die reale Welt als Teilchen- und
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