Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
zwei Jahre zu leben hätte. Unter diesen Umständen schien es nicht viel Zweck zu haben, meine Doktorarbeit zu schreiben – ich rechnete nicht damit, daß ich lange genug leben würde, um sie fertigzustellen. Doch inzwischen waren die zwei Jahre verstrichen, und es ging mir besser als erwartet. Außerdem hatte ich mich mit einem bezaubernden Mädchen, Jane Wilde, verlobt. Aber um heiraten zu können, brauchte ich eine Anstellung, und um eine Anstellung zu bekommen, brauchte ich die Promotion.
1965 hatte ich von Penroses Theorem gehört, nach dem jeder Körper, der einem Gravitationskollaps unterworfen ist, schließlich eine Singularität bilden müsse, und mir war rasch klargeworden, daß die Bedingungen, die diese These beschrieb, auch dann gelten mußten, wenn man die Richtung der Zeit umkehrt, so daß der Kollaps zu einer Expansion wird – vorausgesetzt, das Universum entspräche zum gegenwärtigen Zeitpunkt in seinem großräumigen Aufbau wenigstens grob einem der Friedmann’schen Modelle. Penrose hatte gezeigt, daß jeder in sich zusammenstürzende Stern mit einer Singularität enden muß. Bei Umkehrung der Zeitrichtung ergab sich, daß jedes in Friedmannscher Weise expandierende Universum mit einer Singularität begonnen haben muß. Aus mathematischen Gründen erforderte Penroses Theorem ein Universum, das unendlich im Raum ist. Deshalb konnte ich es für meine Untersuchung verwenden und mit seiner Hilfe beweisen, daß es eine Singularität nur gegeben haben kann, wenn sich das Universum rasch genug ausdehnt, um einem abermaligen Kollaps zu entgehen (denn nur diese Friedmannschen Modelle waren unendlich im Raum).
In den nächsten Jahren entwickelte ich neue mathematische Verfahren, um die Sätze, die zeigten, daß Singularitäten existieren müssen, von dieser und anderen technischen Einschränkungen zu befreien. Als Ergebnis dieser Arbeit erschien 1970 ein gemeinsamer Aufsatz von Penrose und mir, in dem wir zuletzt bewiesen, daß es eine Urknall-Singularität gegeben haben muß, vorausgesetzt, die Allgemeine Relativitätstheorie stimmt und das Universum enthält so viel Materie, wie wir beobachten. Es gab viel Widerstand gegen unsere Arbeit, zum Teil von den Russen, die sich ihrem marxistisch geprägten wissenschaftlichen Determinismus verpflichtet fühlten, zum Teil von Leuten, welche die Vorstellung von Singularitäten überhaupt abstoßend fanden und durch sie die Schönheit der Einsteinschen Theorie beeinträchtigt sahen. Doch es läßt sich schlecht streiten mit einem mathematischen Theorem. So fand unsere Arbeit am Ende allgemeine Anerkennung, und heute gehen fast alle davon aus, daß das Universum mit einer Urknall-Singularität begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Inzwischen habe ich meine Meinung geändert und versuche jetzt, andere Physiker davon zu überzeugen, daß das Universum nicht aus einer Singularität entstanden ist. Wie wir noch sehen werden, können wir auf sie verzichten, wenn wir Quanteneffekte in unsere Überlegungen einbeziehen.
Wir haben in diesem Kapitel verfolgt, wie sich in kaum einem halben Jahrhundert unsere jahrtausendealte Auffassung vom Universum von Grund auf verändert hat. Hubbles Entdeckung, daß sich das Universum ausdehnt, und die Erkenntnis, wie unbedeutend unser Planet in der unvorstellbaren Weite des Universums ist, waren nur der Anfang. Immer mehr experimentelle und theoretische Anhaltspunkte sprachen für die Richtigkeit dieser Annahme, bis Penrose und ich sie auf der Grundlage von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie bewiesen. Dieser Beweis machte deutlich, daß die Allgemeine Relativitätstheorie unvollständig ist: Sie kann uns nichts über den Anfang des Universums mitteilen, weil aus ihr folgt, daß alle physikalischen Theorien, einschließlich ihrer selbst, am Anfang des Universums versagen. Die Allgemeine Relativitätstheorie versteht sich als Teiltheorie. In Wahrheit zeigen die Singularitätstheoreme also, daß das Universum in einem sehr frühen Stadium so klein gewesen sein muß, daß man nicht umhinkann, die kleinräumigen Auswirkungen einzubeziehen, mit der sich die andere große Teiltheorie des 20. Jahrhunderts, die Quantenmechanik, befaßt. Um unserem Ziel näherzukommen, das Universum zu verstehen, sahen wir uns somit Anfang der siebziger Jahre gezwungen, der Theorie des außerordentlich Großen den Rücken zu kehren und uns der Theorie des außerordentlich Kleinen zuzuwenden. Ich will diese Theorie, die Quantenmechanik,
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