Eine Marcelli geht aufs Ganze
immer so erwachsen, aber jetzt, zusammengerollt auf ihrem Bett, war sie so unglaublich klein und schutzlos. Ein Kind. Sein Kind.
Er wollte sie kontrollieren, aber Kelly war eine eigenständige Persönlichkeit. Das Beste, worauf er hoffen konnte, war eine Allianz zwischen ihnen.
Er lächelte, als er sich an seine vielen Streits mit Gabriel erinnerte. Ohne Zweifel war er als Jugendlicher genauso stur und schwierig gewesen.
»Wie hast du mich vor Kurzem noch genannt?«, fragte er. »Einen Dummkopf?«
Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Augen waren rot und geschwollen, ihr Gesicht feucht von Tränen. Sie so traurig zu sehen traf ihn wie ein Fausthieb in den Magen.
»Ein Arschgesicht«, flüsterte sie.
»Hm. Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt. Wie wäre es, wenn du mich einen Dummkopf nennst und ich im Gegenzug verspreche, in Zukunft besser zuzuhören? Sind wir dann quitt?«
Kelly starrte ihn an, ohne ein Wort zu sagen.
Er beugte sich vor und strich ihr leicht über den Handrücken. »Es tut mir wirklich leid. Du hast dich an die Regeln gehalten. Du hast mich um Erlaubnis gefragt und eine Telefonnummer hinterlassen. Du hast es sogar Francesca gesagt. Ich habe mich falsch verhalten.«
»Willst du mir vielleicht einen DVD-Player kaufen, um es wiedergutzumachen?«, fragte sie und schniefte.
»Nein. Aber ich kenne ein tolles Restaurant, in dem es nicht nur hervorragende Spareribs, sondern auch einen coolen Videospielraum gibt. Ich gebe dir dafür fünf Dollar.«
»Das ist kein DVD-Player.«
»Das ist mir bewusst.«
Sie setzte sich hin. »Danke, dass du dich entschuldigt hast.«
»Gern geschehen.«
»Sind das Chicago-Style-Ribs?«
Er stöhnte. »Es sind Spareribs. Fleisch, Knochen, Barbecue-Soße. Einfach Rippchen.«
Kelly seufzte. »Du musst nicht gleich ausrasten, nur weil du nicht weißt, was für Ribs es sind.«
Kopfschüttelnd verdrehte er die Augen. Sie kicherte erst und lächelte dann. Ohne nachzudenken, breitete er die Arme aus. Kelly schaute ihn an, als wenn er sich in eine Ratte verwandelt hätte. Doch gerade als er die Arme wieder sinken lassen wollte, kam sie näher.
Er umarmte sie, und zum ersten Mal, seit sie bei ihm aufgetaucht war, fühlte er, wie klein sie war. Dünn und zerbrechlich. Aber voller Leben. Meine Tochter, dachte er voller Stolz. Mein Kind.
14. KAPITEL
D ie spätmorgendliche Sonne war sehr warm. Francesca richtete ihren Strohhut und suchte sich den Weg durch die Weinreben.
»Was sind das für welche?«, fragte sie ihre Schwester.
Brenna blieb stehen und presste empört die Lippen aufeinander. »Ich kann nicht glauben, dass du die unterschiedlichen Trauben nicht kennst.«
»Sie sind rot«, erwiderte Francesca ein wenig unsicher.
»Wow. Du kannst Farben erkennen. Was kommt als Nächstes? Formen?«
»Hey, mach dich nicht über mich lustig. Ich war immer schon ein langsamer Lerner, wenn du dich erinnern magst, und ich bin sehr empfindlich, was meine Fähigkeiten angeht.«
Brenna schüttelte den Kopf. »Das ist schon fast zwanzig Jahre her. Seitdem bist du aufs College gegangen, hast deinen Bachelor mit summa cum laude abgeschlossen und dich erfolgreich für ein Graduiertenprogramm eingeschrieben. Die ›Ich bin nicht so klug wie du‹-Nummer funktioniert also nicht mehr.«
Francesca wollte widersprechen, hielt sich dann aber zurück. Noch immer erinnerte sie sich an den Frust, den sie verspürt hatte, als alle in ihrer Klasse schon lesen konnten, nur sie nicht. Sie war neun Jahre alt gewesen, als sie plötzlich herausfand, was die tanzenden Buchstaben zu bedeuten hatten und wie man mit ihnen Wörter, Sätze und ganze Gedanken bilden konnte. Niemand hatte den Grund für ihre Lernschwäche gekannt. Ein paar Ärzte hatten spekuliert, dass ein Teil ihres Gehirns einfach länger brauchte, um sich zu entfalten. Woran auch immer es gelegen hatte, sie hatte mehrere Jahre damit verbracht, sich dumm und langsam zu fühlen.
War das wirklich schon fast zwanzig Jahre her? Wenn sie ihren Werdegang Revue passieren ließ, musste sie zugeben, dass sie ganz schön weit gekommen war.
»Okay, dann bin ich jetzt halt klüger als du«, zog sie ihre Schwester auf.
Brenna beugte sich vor und überprüfte das Spalier, das die Reben stützte. »Nicht, wenn es um den Weinanbau geht.«
»Stimmt.«
Brenna richtete sich auf. »Und wenn es um Männer geht, sind wir beide Idioten. Außer du hast deine Fähigkeiten dank der Übung mit Sam verbessern können?«
Francesca wollte nicht an ihn denken.
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