Eine Marcelli geht aufs Ganze
gelacht, ihn angelächelt, ihn gehalten, und das alles, während sie eine Lüge lebte.
Wie konnte er das, was er wollte, mit dem, was er wusste, in Einklang bringen?
Dafür gab es keine einfachen Antworten. Zumindest nicht hier im Garten. Unendlich müde machte er sich auf den Weg ins Haus und ging in die Küche. Vielleicht würde er nach ein paar Stunden Schlaf klarer sehen. Vielleicht würde er aufwachen und feststellen, dass alles nur ein böser Traum war und er es immer noch wagen konnte, zu vertrauen und sein Herz zu verschenken.
Gibt es denn niemanden mehr auf der Welt, der noch Bargeld hat? fragte Kelly sich verärgert, als sie einen weiteren Schlüssel an der Tür von ›Security International‹ ausprobierte. Der dritte funktionierte und öffnete das Schloss mit einem lauten Klick.
Es war beinahe sechs Uhr dreißig am Samstagmorgen. Sie nahm an, dass sie noch ein paar Stunden hatte, bevor die Mitarbeiter eintreffen würden, aber sie wollte kein Risiko eingehen. Nicht wenn so viel auf dem Spiel stand.
Sam war die ganze Nacht über auf gewesen. Sie wusste es, weil sie in seinem Zimmer nachgesehen hatte. Endlich, kurz nach dem Morgengrauen, hatte sie ihn ins Bett gehen hören. Als sie fünfzehn Minuten später aus ihrem Zimmer geschlichen war, hatte sie ihn schnarchen hören.
Sie hasste es, dass sie erst in sein Büro gehen musste, aber gegen Mitternacht hatte sie seine Brieftasche durchsucht und nicht mehr als zwanzig Dollar darin gefunden. Nicht ansatzweise genug, um wegzulaufen und niemals gefunden zu werden. Was bedeutete, sie brauchte mehr Bargeld. Und sie kannte nur einen Ort, wo sie es herkriegen konnte.
Nachdem sie die Eingangstür vorsichtig hinter sich abgeschlossen hatte, ging sie in Sams Büro. Da machte sie das Schlüsselspiel noch einmal, bis sie den fand, der zu seinem Schreibtisch gehörte. Sie nahm den Schlüssel heraus, der zu dem Akten-schrank mit der Geldkassette passte, und schlich den Flur entlang.
Sie wollte nicht stehlen. Nicht wirklich. Aber welche Wahl hatte sie? Sie besaß ja leider keine eigene Kreditkarte mehr. Und keine Kreditkarte zu haben hatte bedeutet, dass sie im Internet die Busverbindung zum Büro hatte heraussuchen müssen. Das hatte sie viel Zeit gekostet. Aber sie hatte einen Plan. Sobald sie das Geld hätte, würde sie einen Bus nach San Francisco nehmen. In einem Bus wäre sie einigermaßen sicher, weil Sam sicherlich davon ausging, dass sie fliegen würde. Und während er damit beschäftigt war, die Erste-Klasse-Reservierungen durchzusehen, würde sie im Dickicht der Stadt verschwinden.
Sie betrat den Nebenraum und öffnete den Aktenschrank. Als sie gerade einige Dollarnoten abzählte, legte sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter. Erschrocken schrie sie auf, und das Geld flog durch die Luft. Als sie sich umdrehte, sah sie ihrem Urgroßvater direkt ins Gesicht.
»Du bist früh auf«, sagte er.
Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und brach dann in Tränen aus.
Sam erwachte um halb neun. Eine Dusche und zwei Tassen Kaffee später fühlte er sich immer noch wie von einem Bus überfahren. Um Viertel nach neun beschloss er, nach Kelly zu sehen. Seit ihrem Ausbruch am Vorabend hatte er nicht mehr mit ihr geredet, denn danach hatte Francescas Ankündigung ihn vollkommen aus der Bahn geworfen.
Während er die Treppe hinaufstieg, fragte er sich, wie er Kelly die Nachricht von dem Baby am besten beibringen könnte. Vielleicht sollte er warten, bis er selbst wusste, wie es weiterging. Sie könnten darüber sprechen, wenn ...
Sie war weg.
Sam stand in ihrem Zimmer und starrte fassungslos auf ihr sorgfältig gemachtes Bett. Es fehlten nicht viele ihrer Sachen, aber instinktiv wusste er, dass sie gegangen war. Weggelaufen.
Panik packte ihn. Meine Tochter, dachte er verzweifelt. Wo ist sie hingegangen?
Nur für den Fall, dass sein Bauchgefühl sich irrte, durchsuchte er das ganze Haus und überprüfte dann seine Brieftasche. Seine Kreditkarten waren alle da, aber sein letzter Rest Bargeld fehlte.
Er schnappte sich das Telefon vom Nachttischchen und wählte Francescas Nummer. Eine erstickte, tränenerfüllte Stimme meldete sich.
»Hallo?«
»Ist sie bei dir?«
Francesca räusperte sich. »Was? Sam?«
»Ist Kelly bei dir?«
»Nein. Natürlich nicht. Was ist passiert?«
»Sie ist weg. Weggelaufen. Ich war die ganze Nacht auf, also muss sie irgendwann heute Morgen abgehauen sein.«
»Nein. Oh Sam, sie kann doch nicht ganz alleine draußen herumlaufen.
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