Eine Marcelli geht aufs Ganze
bist zwölf, Kelly. Du brauchst keine Kreditkarte.«
Seine Augen hatten eine wirklich seltsame Farbe. Braun mit einem goldenen Schimmer. Im Moment waren sie dunkel und kalt, und Sam sah richtig gemein aus.
Aber ich habe keine Angst, sagte sie sich. Dazu war sie zu wütend. »Sie gehört mir«, beharrte sie. »Wie soll ich mich um mich kümmern, wenn ich mir nichts kaufen kann?«
»Ich kaufe dir, was du brauchst.«
»Nein. Du kaufst mir, was du glaubst, das ich haben soll. Dir ist es völlig egal, was ich will.« Ohne ihre Kreditkarte saß sie hier fest.
Er seufzte. »Wir sprechen nach dem Essen darüber, was und wo wir etwas kaufen. Jetzt wasch dir die Hände und deck den Tisch.«
»Nein! Wir reden jetzt darüber.«
»Ich habe gesagt, später.«
»Ist mir egal, was du sagst. Ich habe ja nicht mal was zum Anziehen.«
»Das kommt daher, dass du Francescas Angebot, mit ihr einkaufen zu gehen, abgelehnt hast. Nun wirst du mit dem leben müssen, was du hast, und zwar so lange, bis deine Sachen hier eintreffen.«
Kelly brannten die Augen. Sie drehte sich weg. Der gefühlte Verrat schnitt wie ein Messer durch ihre Brust. Sie konnte nicht fassen, dass Francesca ihrem Vater von dem Vorfall beim Essen erzählt hatte. Das war nicht fair.
Sam seufzte. »Kelly, ich versuche nicht, dir das Leben schwer zu machen, auch wenn es auf dich vielleicht so wirkt. Hier wird alles ein wenig anders laufen, als du es gewohnt bist. Du wirst dir nicht einfach kaufen, was du willst und wann du willst. Ich werde mich um dich kümmern, aber zu meinen Bedingungen.«
Also war sie überhaupt nicht wichtig. Wütend presste sie die Lippen aufeinander.
»Deine Sachen kommen am Freitag. Das sind nur noch drei Tage. Wenn du nicht weißt, wie man die Waschmaschine bedient, zeige ich es dir.«
Sie wirbelte zu ihm herum. »Ich wasche keine Wäsche. Dazu hat man ein Hausmädchen.«
»Unsere Haushälterin ist im Moment nicht da. Entweder wäschst du selber, oder du trägst dreckige Sachen. Mir ist es egal. Jetzt wasch dir die Hände und deck den Tisch.«
Er stellte die Grillplatte am Herd aus, auf der zwei Hühnerbrüste lagen. Sie sahen blass und unappetitlich aus.
»Das esse ich nicht«, sagte Kelly.
»Das ist gesund.«
»Es sieht ekelhaft aus. Hast du die gemacht?«
Seine Miene verhärtete sich. »Ja. Und ich habe auch einen Salat zubereitet.«
Sie drehte sich zum Tisch um. In der Mitte stand eine Schüssel mit Eisbergsalat. »Der zählt nicht mal als Gemüse.«
»Er ist gesund«, wiederholte er.
»Nein, ist er nicht. Also verweigerst du mir nicht nur neue Klamotten, damit ich etwas zum Anziehen habe, sondern du versuchst auch, mich zu Tode zu hungern. Du bist echt ein lausiger Vater.«
Er machte einen Schritt auf sie zu. »Es ist achtundvierzig Stunden her, dass du hier aufgetaucht bist, und ich finde, ich mache das hervorragend. Wenn du dich beschweren willst, mach es schriftlich. Ansonsten wasch dir die Hände, deck den Tisch und iss dein Abendbrot.«
Erbost funkelte sie ihn an. »Geh zum Teufel«, sagte sie ganz langsam und stakste dann aus der Küche.
Einen Moment herrschte Stille, dann knallte etwas gegen die Wand.
Aber Kelly konnte ihren Sieg nicht genießen. Sie fühlte sich einfach nur leer, hungrig und sehr, sehr allein.
9. KAPITEL
I ch habe mich entschieden wegzulaufen«, sagte Sam nach dem Abendessen. »Hast du Lust mitzukommen?«
Auf dem Sofa im Fernsehzimmer kuschelte Francesca sich an ihn und schloss die Augen. »Wo würden wir denn hingehen?«
»Irgendwohin, wo es heiß ist. Eine unerforschte Insel im Südpazifik. Wir müssten den ganzen Tag nackt herumlaufen.«
Sie lächelte. »Es gibt aber einige Körperteile, an denen ich nur ungern einen Sonnenbrand bekommen würde.«
Er setzte sich ein wenig anders hin, sodass sein Mund ganz nah an ihrem Ohr war. »Wir würden uns die ganze Zeit lieben, sodass sie immer bedeckt wären.«
Die leisen Worte und Sams rauchige Stimme sorgten dafür, dass Francescas Haut zu prickeln begann. »Wie steht's mit Essen und Wasser?«
»Wäre alles da. Wir würden uns einfach was bestellen.«
»Auf einer unerforschten Insel? Wie würde man uns dort finden?«
Er schlang die Arme um sie und zog sie näher an sich. »Pst. Du verdirbst den schönen Traum. Es gäbe reichlich Essen und Wasser. Ein großes Bett. Champagner. Bist du bereit?«
Sie dachte an den mickrigen Anfang ihrer Dissertation und das beleidigte Kind oben im Zimmer. Die erste Woche war bereits zur Hälfte um, doch die
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