Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
Kapitel 1
Traurige Tatsache: Zahlreiche Jugendliche wissen, wie man mit Messern und Schusswaffen umgeht.
Ich damals auch, aber anstatt kriminell zu werden, hatte ich mich zu einer Schamanin fürs Grobe ausbilden lassen. Während meine Freundinnen in der Disco und beim Football waren, hatte ich zusammen mit meinem Stiefvater Geister verbannt und Monster bezwungen. Das Gute daran war, dass ich nie Angst vor Straßenräubern oder sonstigen Angreifern haben musste. Das Blöde, dass es einem ganz schön die soziale Entwicklung versaut, so aufzuwachsen.
Ich war einfach nie wie die anderen. Ich hatte zwar ein paar Freundinnen, aber verglichen mit ihrer Welt war meine grausig hart und grausig tödlich. Ihre Dramen und Sorgen waren mir immer total belanglos vorgekommen, und ich hatte nie eine richtige Verbindung zu ihnen herstellen können. Jetzt, als Erwachsene, ging mir das mit Jugendlichen immer noch so, weil ich einfach keine vergleichbaren Erfahrungen hatte, auf die ich hätte zurückgreifen können.
Was meinen heutigen Auftrag umso schwieriger machte.
»Na komm, Polly«, säuselte die Mutter des Mädchens und lächelte mit mehr als vollen Lippen. Zu viel Collagen vermutlich. »Erzähl ihr von dem Gespenst.«
Polly Hall war dreizehn, trug aber genug Make-up, um mit einer vierzigjährigen Nutte mithalten zu können. Sie lümmelte auf einer Couch im perfekt eingerichteten Haus ihrer Eltern, kaute geräuschvoll Kaugummi und sah überall hin, nur nicht zu uns. Je länger ich sie mir ansah, desto mehr stand für mich fest, dass sie Probleme hatte. Probleme, die wahrscheinlich weniger mit übernatürlichen Einflüssen zu tun hatten als vielmehr damit, eine Mutter zu haben, die ihr den Namen Polly gegeben hatte und ihr erlaubte, Tangaslips zu tragen. Der hüftbetonte Schnitt von Pollys Jeans hatte die unangenehme Nebenwirkung, dass ich besagten Tangaslip sehen konnte.
Nach einer Minute des Schweigens seufzte Mrs Hall laut. »Polly, Schatz, das haben wir doch besprochen. Wenn du uns nicht hilfst, können wir dir auch nicht helfen.«
Lächelnd ging ich vor der Couch in die Hocke, um dem Mädchen in die Augen sehen zu können. »Das ist in Ordnung«, sagte ich in der Hoffnung, dass ich mich ehrlich und verlässlich anhörte und nicht nach Frühstücksfernsehen. »Egal, was du mir erzählst, ich werde dir glauben. Wir finden eine Lösung dafür.«
Polly seufzte genauso laut wie ihre Mutter eben und wollte mich immer noch nicht ansehen. Sie erinnerte mich an meine labile Halbschwester im Teenageralter, die zurzeit spurlos verschwunden war und vorhatte, die Welt zu erobern. »Mom«, sagte sie, »kann ich jetzt in mein Zimmer?«
»Erst wenn du mit dieser netten Dame gesprochen hast.« Mrs Hall sah wieder zu mir und erklärte: »Wir hören nachts ständig komische Geräusche: Scheppern, Knallen, dumpfe Schläge. Sachen fallen ohne Grund um. Ich habe sogar …« Sie zögerte. »Ich habe sogar irgendetwas im Zimmer herumfliegen sehen. Aber immer nur, wenn Polly da ist. Was immer das für ein Gespenst ist, es scheint sie zu mögen … oder von ihr besessen zu sein.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Polly zu, ihrer schlechten Laune und kaum verborgenen Verdrossenheit. »Beschäftigt dich etwas, Polly?«, fragte ich sanft. »Probleme in der Schule oder so? Probleme hier?«
Ihre blauen Augen huschten superkurz zu mir.
»Wie sieht es mit der Elektrik aus?« Das richtete ich an ihre Mutter. »Gibt es Kurzschlüsse? Stereoanlagen oder Haushaltsgeräte, die nicht richtig funktionieren?«
Mrs Hall blinzelte. »Woher wissen Sie das?«
Ich stand auf und bog meinen Körper wieder zurecht. Ich hatte in der vergangenen Nacht mit einem Geist gekämpft, und der war nicht sanft gewesen.
»Sie haben kein Gespenst. Sie haben einen Poltergeist.«
Die beiden starrten mich an.
»Ist das denn kein Gespenst?«, fragte Mrs Hall.
»Kein richtiges. Es handelt sich um eine Manifestation telekinetischer Kräfte, die oft durch Wut oder andere starke Emotionen während der Teenagerjahre hervorgebracht wird.« Da hatte ich den Frühstücksfernsehen-Tonfall vermieden, nur um jetzt in den Tonfall von Werbedokus zu verfallen.
»Ich … Moment mal. Wollen Sie damit sagen, dass Polly das verursacht?«
»Ja, wenn auch nicht mit Absicht. In Fällen wie diesem schlägt die Person – Polly – um sich, ohne es selbst zu merken, und reagiert so ihre Gefühle ab. Sie wird ihre telekinetischen Kräfte wieder verlieren. Sie lassen nach, wenn sie
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