Eine Meerjungfrau am Haken
Wänden standen Vitrinen mit Mumien von Fischen. Einige von längst ausgestorbenen und andere von noch immer existierenden. In Regalen waren Gefäße mit bizarren Tiefseekreaturen arrangiert. An einer Wand hing ein riesiger, ausgestopfter Hammerhai. Ihm gegenüber hatte man einen ebenso großen Schwertfisch angebracht. Der gesamte Raum wirkte wie eine Leichenhalle für Fische.
Genau in der Mitte des Raumes stand die Hauptattraktion: das Aquarium. Es hatte in etwa die Größe eines Doppelbetts, thronte auf einem Podest und wurde von jeder Menge Speziallampen beleuchtet. Sabrina hatte Guppies, Goldfische oder ähnliche tropische Kleinfische erwartet. Stattdessen starrte sie nun auf die Miniaturversionen von Fischen, die sie eigentlich weitaus größer kannte.
Aha, so eine Art Miniatur ist also gemeint!
Der Boden des Aquariums war ein genaues Abbild des Ozeanbodens, nur war alles viel kleiner: mikroskopisch feine Steine und Sand und winziger Seetang, der nach oben an die Wasseroberfläche wuchs. Im Schatten lauerten Haie, die nicht größer waren als Sabrinas kleiner Finger. Und ganz hinten konnte man eine Herde Miniwale ausmachen.
In der Mitte des Aquariums ragte ein kleiner Hügel auf. Der Schöpfer hatte sich große Mühe gegeben, das Ganze wie eine idyllische Insel aussehen zu lassen. Nur eben eine Insel unter Wasser. Das „Gras“ war eine Art Moos. Und die Büsche und Bäume wiegten sich im Wasser und nicht in der Luft. Winzige Wege durchschnitten die Landschaft. Sie verbanden zierliche Villen mit einer kunstvoll gestalteten Stadt, die sich über den Gipfel ausbreitete. Ihr Baustil wirkte klassisch griechisch.
„Beeindruckend! Doch wie soll ich dieses Ungetüm nur transportieren?“, jammerte sie laut vor sich hin.
„Geben Sie immer so leicht auf, Miss Spellman?“
Mr. Krafts Anwesenheit ließ Sabrina vor Schreck fast an die Decke hüpfen. Sie wirbelte herum. „Warum tun Sie das immer?“
Mr. Kraft grinste sie verschmitzt an. „Ist ein alter Lehrertrick. Sorgt dafür, dass die Schüler sich benehmen. Aber zu Ihrer Frage: Nicht Sie sollen das Aquarium transportieren. Sie sollen Ideen sammeln und dann Angebote von Firmen einholen.“
„Ist das nicht etwas zu anspruchsvoll?“
„Ach was“, antwortete der stellvertretende Schuldirektor. „Betrachten Sie es einfach als Vorbereitung auf das Leben. Oder besser noch: Betrachten Sie es als Hauptbestandteil Ihrer Note in Wirtschaftskunde.“
„Was?“ Sabrina war empört. „Das ist nicht fair! Davon steht nichts im Lehrplan!“
„Das Leben ist nun mal nicht fair, Miss Spellman. Wenn es das wäre, müsste ich Präsident und nicht Vizedirektor sein. Außerdem hätte ich dann auch noch alle meine Haare.“ Sabrinas Anblick schien ihn zu erweichen. „Also gut, ich gebe Ihnen ein paar nützliche Hinweise. Erst holen Sie Angebote von Umzugsfirmen für die Versetzung des Beckens ein. Dann schätzen Sie die Anzahl der Fische und wie viele Plastikschachteln Sie zum Transport brauchen...“
Sabrina war überrascht. „Sie meinen diese Plastikdinger, in denen man Fertigsalat bekommt?“
„Ja.“ Mr. Kraft schürzte die Lippen. „Die sind wie geschaffen für Fische. Hier haben Sie eine kleine Informationsbroschüre. Geben Sie mir rechtzeitig Bescheid, damit ich die entsprechende Anzahl Schachteln bestellen kann.“
„Moment mal, Sie wollen die Teile bestellen?“ Sabrina hegte einen Verdacht.
Mr. Kraft strahlte sie an. „Glücklicherweise bekommt die Westbridge Highschool bei mir diese Plastikschachteln in allen Größen und Formen zu einem besonders günstigen Preis.“
„Aber, Mr. Kraft, denken Sie nicht, dass Sie sich dadurch in einem Interessenkonflikt befinden?“
Der Vizedirektor schüttelte den Kopf. „Unsinn. Haben Sie eine Ahnung, wie wenig ein Lehrer heutzutage verdient, Miss Spellman? Es ist eine Schande! Wenn mir dieser Beruf nicht so sehr am Herzen liegen würde, hätte ich den Verkauf von Haushaltswaren schon längst zu meinem Vollzeitjob gemacht. Solch ein Franchise-Unternehmen ist die beste Möglichkeit, reich zu werden und dabei unabhängig zu bleiben.“
Sabrina wollte das Gespräch wieder auf ihr Problem lenken. „Wo genau auf dem Schulgelände soll das Aquarium eigentlich hin? Haben wir nicht bereits solchen Platzmangel, dass Ihre Sekretärin in einer Besenkammer sitzen muss?“
„Dieses Problem habe ich gelöst“, verkündete Mr. Kraft stolz. „Es soll im alten Wartungsgebäude aufgestellt werden.“
Sabrina überlegte
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