Eine Überwinterung im Eise
liebes Kind, ich fürchte jedoch sehr, daß wir von dem Ziel unserer Reise noch weit entfernt sind. Es ist
leider sehr wahrscheinlich, daß der Froöern noch weiter nach Norden gerissen wurde.
– Das ist auf jeden Fall geschehen, meinte André Vasling; denn jener Sturm, der uns von dem norwegischen Schiffe trennte,
hielt drei Tage an, und in drei Tagen legt ein Schiff große Strecken zurück, wenn es rettlos ist und dem Winde nicht widerstehen
kann!
– Wollen Sie mir die Bemerkung gestatten, daß wir zu jener Zeit noch im Monat April waren, fiel hier Penellan ein; damals
hatte das Thauen noch nicht begonnen, und so muß der Froöern sehr bald durch das Eis aufgehalten ...
– Und in tausend Stücke zerschellt sein! fiel ihm der Obersteuermann in's Wort; da nämlich seine Mannschaft unter diesen Umständen
nicht manoeuvriren konnte.
– Die Eisflächen boten das einfachste Mittel, um bald an's Land zu kommen, von dem sie nicht fern sein konnte, entgegnete
Penellan.
– Wir wollen es hoffen, unterbrach Johann Cornbutte diese Erörterung, die sich täglich zwischen dem Ober- und Untersteuermann
wiederholte. Ich glaube, wir werden binnen Kurzem Land in Sicht bekommen.
– Dort ist es! Seht die Berge! rief Marie.
– Das sind Eisberge, mein Kind, erklärte Johann Cornbutte, die ersten, denen wir begegnen. Sie würden uns zermalmen wie Glas,wenn
wir zwischen ihre Massen geriethen. Penellan und Vasling, habt Acht auf das Steuer.«
Die schwimmenden Berge, von denen etwa fünfzig am Horizont erschienen, näherten sich mehr und mehr der Brigg. Penellan ergriff
das Steuerruder, und Johann Cornbutte, der auf die Stangen des kleinen Bramsegels gestiegen war, gab die Fahrstraße an.
Gegen Abend wurde die Brigg von den schwimmenden Klippen, deren zerschmetternde Kraft unwiderstehlich ist, ganz eingeschlossen.
Es handelte sich nun darum, diese Flotte von Bergen zu durchbrechen, denn die Klugheit gebot, immer weiter zu segeln. Noch
eine andere Schwierigkeit kam zu diesen Gefahrenhinzu. Da alle Punkte der Umgebung sich fortwährend verrückten und keine feste Perspective boten, konnte man die Richtung
des Schiffes nicht genau constatiren. Mit dem Nebel mehrte sich auch die Dunkelheit. Marie begab sich in ihre Kajüte hinab,
und die acht Personen der Schiffsmannschaft mußten, nach Befehl des Kapitäns, auf dem Verdeck bleiben. Sie hatten sich mit
langen Stangen bewaffnet, an deren Enden eiserne Spitzen angebracht waren, um mit ihnen das Schiff vor den Stößen der Eisblöcke
zu schützen.
Die Jeune-Hardie trat bald in ein so enges Fahrwasser, daß das äußerste Ende ihrer Raaen oft von den mit dem Strome treibenden
Bergen gestreift wurde, und daß ihre Luvbäume eingezogen werden mußten. Man war sogar genöthigt, die große Raa zu brassen,
so daß sie die Wanten berührte. Glücklicherweise büßte die Brigg durch diese Maßregel nichts von ihrer Schnelligkeit ein,
denn der Wind konnte nur die oberen Segel fassen, und diese genügten, um sie schnell fort zu treiben. Dank dem zierlichen
Bau ihres Rumpfes wand sie sich durch diese Thäler hindurch, während die Eisschollen mit unheilvollem Krachen an einander
stießen und der Regen in wilden Wirbeln hernieder strömte.
Johann Cornbutte stieg wieder auf das Verdeck; sein Blick konnte die Finsterniß nicht durchdringen. Es wurde nun nothwendig,
die oberen Segel einzuziehen; denn das Schiff drohte, mit den Eisblöcken zusammen zu stoßen, und wäre in diesem Fall verloren
gewesen.
»Verdammte Reise! brummte André Vasling, der auf dem Vorderdeck neben den Matrosen stand,die mit ihren Stangen die drohendsten Stöße abwandten.
– Wenn wir glücklich dieser Gefahr entrinnen, müssen wir der heiligen Jungfrau der Eisschollen eine schöne Kerze weihen, meinte
Aupic.
– Wer weiß, zwischen wie viel schwimmenden Bergen wir noch hindurch zu fahren haben? fügte der Obersteuermann hinzu.
– Und wer sagt uns, daß wir dahinter dann irgend etwas finden werden! meinte der Matrose.
– Sprich nicht so viel hin und her Du Schwätzer, sagte jetzt Gervique; achte lieber auf Deinen Bord. Wenn wir vorüber sind,
ist noch immer Zeit genug zum Schelten! Paß auf Deine Stange!«
In diesem Augenblick glitt ein ungeheurer Eisblock in dem engen Fahrwasser rasch Bord gegen Bord mit dem Schiffe, und es schien
fast unmöglich, ihm aus dem Wege zu gehen. Er versperrte die ganze Breite des Seegatts, und der Brigg war die Möglichkeit
zu
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