Eine Überwinterung im Eise
endlich, nach der Gestaltung der mittägigen
Spitze die Durchfahrt mehr im Süden zu versuchen, denn schon begann der Eisgang an mehreren Stellen, und schwimmende Eisberge
strömten auf die hohe See zu. Am 25. April wurde das Schiff in Stand gesetzt, die Segel verließen ihre Futterale und zeigten
sich als vollkommen gut erhalten, und jedes Herz schlug freudig, als sie sich zum ersten Mal wieder im Hauch des Windes blähten.
Das Schiff erbebte, denn wenn es sich auch noch nicht von der Stelle bewegen konnte, so hatte es doch seine Wasserlinie wieder
gefunden und ruhte wieder in seinem natürlichen Element.
Im Monat Mai thaute es mit Macht, und der Schnee auf dem Ufer schmolz und bildete einen so dichten Schlamm, daß die Küste
fast unzugänglich wurde. Ja, kleine, zartrosige, blasse Haidekräuter zeigten sich sogar unter der Schneedecke und schienen
der geringen Wärme schüchtern zuzulächeln. Das Thermometer stand endlich wieder über Null.
Zwanzig Meilen südlich von dem Schiffe flutheten bereits vollständig losgelöste Eisschollen dem Atlantischen Ocean zu, und
obgleich das Meer um die Jeune-Hardie noch nicht ganz frei war, stellte sich doch ein Fahrwasser her, das Ludwig Cornbutte
zu benutzen gedachte.
Am 21. Mai, nach einem letzten Besuch bei dem Grabe seines Vaters, verließ Ludwig Cornbutte die Ueberwinterungsbai. Das Herz
der Seeleute war voll Freude, aber auch voller Traurigkeit, dennNiemand verläßt gleichgiltig und ohne Wehmuth den Ort, wo er einen Freund sterben sah. Der Wind wehte aus Norden und begünstigte
die Abfahrt der Brigg; aber oft wurde sie von Eisblöcken aufgehalten, die mit der Säge durchschnitten werden mußten, ehe das
Schiff seine Fahrt fortsetzen konnte; denn wieder thürmten sich Eisschollen vor der Jeune-Hardie auf, und es mußten Minen
angelegt werden, um sie zu sprengen. So schwebte das Schiff noch während eines ganzen Monats in Gefahr und war oft nur um
ein Haar breit von seinem Untergange entfernt, aber die Mannschaft hielt sich gut und war schwierige und gefahrvolle Manoeuvres
gewöhnt; Penellan, Pierre Nouquet und Fidèle Misonne allein schafften so viel wie sonst zehn Matrosen, und Marie hatte für
Jeden ein freundliches Wort und ein dankbares Lächeln.
Endlich, auf der Höhe der Insel Jan-Mayen, wurde die Jeune-Hardie ganz eisfrei, und am 25. Juni begegnete sie Schiffen, die
zum Robben- und Wallfischfang nach Norden fuhren. Die Brigg hatte beinahe einen Monat gebraucht, um aus dem Eismeer zu kommen.
Am 16. August befand sich die Jeune-Hardie in Sicht von Dünkirchen; sie war von der Wache signalisirt worden, die ganze Hafenbevölkerung
eilte ihr auf dem Damm entgegen, und bald drückten die Seeleute ihre Frauen und Kinder an die Brust. Der alte Pfarrer empfing
Ludwig Cornbutte und Marie mit seinem schönsten Segen, und von den zwei Messen, die er am folgenden Tage las, galt die erste
der Ruhe von Johann Cornbutte's Seele, die andere den beiden Verlobten, die schon so lange durch die Zeit des Unglücks geeint
worden waren.
Ende
Informationen zum Autor
Jules Verne
Jules Verne wurde am 08.02.1828 in Nantes geboren, wo er auch aufwuchs. Er studierte Jura in Paris, fand jedoch größeres Interesse am Theater. In Gemeinschaftsarbeit mit Alexandre
Dumas schrieb er Opern, Libretti und Dramen. 1863 begann er mit der Niederschrift seiner Abenteuer- und Zukunftsromane. Jules Verne starb am 24.03.1905 in Amiens.
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Werke u.a.
1863 Fünf Wochen im Ballon
1864 Reise zum Mittelpunkt der Erde
1865 Von der Erde zum Mond
1867 Die Kinder des Kapitän Grant
1869 Reise um den Mond
1870 20.000 Meilen unter dem Meer
1870 Die geheimnisvolle Insel
1873 Reise um die Erde in 80 Tagen
1878 Ein Kapitän von 15 Jahren
1879 Die 500 Millionen der Begum
1884 Der Archipel in Flammen
1885 Mathias Sandorf
1908 Der Donaulotse
Impressum
Verlag: ekz.bibliotheksservice GmbH, Reutlingen
Ebook erstellt durch epublius GmbH , Berlin
ISBN:
978-3-95608-248-1
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