Eine unbeliebte Frau
halb belustigt, halb mitleidig. »Das hätte ich niemals für möglich gehalten.«
Bodenstein warf seiner Frau einen Blick zu. Cosima war eine aparte Frau mit klaren Gesichtszügen, faszinierend grünen Augen und tizianrotem Haar. Sie besaß ein leidenschaftliches Temperament, einen präzisen Verstand und einegroßzügige, wenn auch oft zynische Weltsicht. Noch immer, nach all den Jahren, erfüllte ihn bei ihrem Anblick ein tiefes Glücksgefühl. Vielleicht lag es daran, dass sie durch Cosimas Beruf häufig für längere Zeit getrennt waren, vielleicht hatte es etwas mit der beinahe diametralen Gegensätzlichkeit ihrer Charaktere zu tun – aber irgendwie war es ihnen trotz der Kinder und anstrengender Berufe gelungen, den kostbaren Funken der Verliebtheit zu bewahren, der in anderen Beziehungen oft sehr schnell der Trivialität des täglichen Einerleis zum Opfer fiel.
»Kenne ich seine letzte Freundin eigentlich?«, erkundigte Bodenstein sich bei seiner Frau.
»Solltest du zumindest«, Cosima lächelte, »Mona. So eine große Stille. Rosi behauptet, sie sei stumm. Ich habe sie auch nie ein Wort reden hören.«
»Zum Schlussmachen wird sie den Mund schon aufgemacht haben.«
»Oder sie hat ihm eine SMS geschickt«, Cosima grinste. »So funktioniert das heute doch.«
Bodenstein war in Gedanken ganz woanders. Wie jedes Mal, wenn Cosima zu einer ihrer abenteuerlichen Filmexpeditionen aufbrach, beschlich ihn das verzweifelte Bedürfnis, sie niemals wieder loslassen zu wollen. Er kam sich wie eine Seemannsbraut vor, die ihren Mann an den Hafen begleitet und ihm nachblickt, wie er in eine ungewisse Zukunft davon-segelt. Sie fuhren aus Fischbach hinaus Richtung Ruppertshain. Vor ein paar Jahren hatte Cosima in dem kleinen Ort im Taunus eine neue Bleibe für ihre Filmproduktionsgesellschaft gefunden, weil die Räumlichkeiten in Frankfurt nach einer dritten Mieterhöhung einfach zu teuer geworden waren. In dem imposanten, denkmalgeschützten Gebäudekomplex der ehemaligen Lungenheilstätte, die vor ein paar Jahren von einem geschäftstüchtigen Investorenkonsortium gekauftund von einem dem langsamen Verfall entgegendämmernden Monstrum in das prestigeträchtige Objekt »Zauberberg« mit Eigentumswohnungen, Künstlerateliers, Arztpraxen, Büroräumen und Restaurant verwandelt worden war, waren die Mieten noch erschwinglich. Nicht zuletzt aus diesem Grund war Bodenstein die Entscheidung, sich vor gut zwei Jahren freiwillig als Leiter des neu gegründeten K11 von Frankfurt in den Main-Taunus-Kreis versetzen zu lassen, nicht schwergefallen. Im Zuge der Umstrukturierung der hessischen Polizei war ein eigenes Dezernat für Gewaltkriminalität bei der Regionalen Kriminalinspektion in Hofheim entstanden, und Bodenstein hatte den Wechsel in die Provinz nach über zwanzig Jahren in der hektischen Großstadt nicht bereut. Zwar hatte er als Kriminalhauptkommissar in Hofheim nicht viel weniger Arbeit als früher in Frankfurt, aber die Arbeitsbedingungen hatten sich bedeutend verbessert. Bodenstein bog auf den leeren Parkplatz des Zauberbergs ein.
»Wir könnten noch am Flughafen zusammen frühstücken«, schlug er vor, als er den BMW anhielt. »Bis du einchecken musst, haben wir noch jede Menge Zeit.«
»Gute Idee«, Cosima lächelte und stieg aus, »bin gleich zurück.«
Bodenstein stieg auch aus, lehnte sich an den Kotflügel seines Autos und genoss für einen Moment die sensationelle Aussicht über das Rhein-Main-Gebiet. In diesem Moment summte sein Handy.
»Guten Morgen, Chef«, erklang die Stimme seiner neuen Kollegin Pia Kirchhoff an seinem Ohr. »Tut mir leid, dass ich so früh störe.«
»Kein Problem«, erwiderte er, »ich bin schon auf den Beinen.«
»Das ist gut, wir kriegen nämlich Arbeit«, sagte Pia Kirchhoff. »Ein Winzer aus Hochheim hat heute Morgen dieLeiche eines Mannes in seinem Weinberg gefunden. Ich bin schon dort. Es war wohl ein Suizid.«
»Wozu brauchen Sie mich dann?«, fragte Bodenstein.
»Der Tote ist jemand, den Sie kennen«, Pia Kirchhoff senkte die Stimme, »Oberstaatsanwalt Joachim Hardenbach.«
»Wie bitte?« Bodenstein richtete sich auf und spürte, wie er unwillkürlich eine Gänsehaut bekam. »Sind Sie sicher?«
Oberstaatsanwalt Dr. Joachim Hardenbach war der wohl bekannteste Verbrecherjäger der Frankfurter Staatsanwaltschaft, gefürchtet als unbarmherziger und humorfreier Hardliner mit beträchtlichem politischem Ehrgeiz. Es war kein Geheimnis, dass er im Falle eines Wahlsieges der CDU
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