Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
Vom Netzwerk:
Der Mann auf dem Sofa blutete. Dicke rote Tropfen quollen aus seinen Nasenlöchern und liefen in den grauen Schnurrbart.
    Im ersten Augenblick des Schocks rührte sich niemand. Nicht einmal das Opfer. »Um Gottes willen!« Die überforderte junge Frau an der Anmeldung ließ den Telefonhörer fallen und sprang auf. »Mr. Mitosky! Sir!« Sie stürzte aus dem Zimmer, wobei sie überflüssigerweise rief: »Warten Sie, bin gleich wieder da.« Durch einen geräumigen Korridor lief sie weg. Es blieb der Eindruck eines zu eleganten Kostüms mit zu kurzem Rock.
    Wetzon, die an der Anmeldung gestanden und auf das Kuvert gewartet hatte, das von Bobby Kohn für sie hinterlegt worden war, zerrte ein Päckchen Kleenex aus der Handtasche und zog ein paar Tücher heraus. »Hier, bitte, lassen Sie mich Ihnen helfen.«
    »Ist nicht nötig, bitte, keine Sorge, bitte. Passiert mir dauernd.« Der Mann sprach mit russisch klingendem Akzent, während immer noch dunkelrotes Blut aus seiner Nase tropfte, über den gezwirbelten Schnurrbart auf das Kinn und weiter auf das weiße Hemd und die Revers des braunen Tweedanzugs. Er preßte die angebotenen Taschentücher an die Nase und versuchte aufzustehen. Seine Augen hinter der starken Brille waren verschwommen. Ein brauner Filzhut mit einer feschen Feder im Band lag neben ihm auf dem Sofa. Ein Spazierstock stand schräg an der Lehne.
    »Bitte, Mr.... äh... Mr. Mitosky. Sie sollten besser den Kopf in den Nacken legen.«
    Die Empfangsdame kam mit einem Stapel nasser Papierhandtücher und einem Plastikbeutel voller Eiswürfel zurück, aber inzwischen hatte der Blutstrom erheblich nachgelassen, nachdem der Mann den Kopf nach hinten geneigt hatte.
    In diesem Augenblick bemerkte Wetzon, daß sein Make-up nur bis zum Kinn aufgetragen war, weshalb sein Hals Nuancen heller war als das ungesunde Grau seines Gesichts. Sie stutzte mitten in dem Gedanken. Make-up?
    »Soll ich einen Arzt kommen lassen?« Die Empfangsdame hielt ihm die nassen Papierhandtücher hin. Ihr Gesicht drückte echte Besorgnis aus.
    »Nein, nein. Bitte.« Seine schmalen Hände zitterten ein wenig, als er sich mit den nassen Tüchern abtupfte.
    Zwei flotte junge Männer, die in den dunklen Nadelstreifenanzügen aussahen, als wären sie soeben aus einer Paul-Stuart-Anzeige herausgetreten, kamen aus dem breiten, dezent beleuchteten Korridor auf sie zu.
    »Ich habe also zu ihm gesagt, so, es gefällt Ihnen nicht, was ich mit Ihrem verdammten Konto anstelle? Sie glauben, Sie werden von diesem Typ bei Bache besser bedient? Bitte, dann tun Sie mir doch den Gefallen und gehen zu ihm. Du hättest hören sollen, wie der aufgeschrien und gebettelt hat, daß ich ihn behalte... Ich habe gesagt, stecken Sie sich...«
    »Undankbares Pack. Die sind alle gleich. Da machst du Geld für sie, und wenn du einmal verlierst, vergessen sie plötzlich, wieviel du für sie gescheffelt hast. Hast du die Börsenberichte über Eastern Norfolk gesehen?«
    »Hm, sieht aus, als ob das Management irgendwas vorhat...«
    »Jerry hat einen Kumpel, der jemand kennt, dessen Schwester was mit einem bei Wasserelia hat. Angeblich wollen sie sich die Sache mal ansehen.«
    Sie gingen ohne Neugier und kommentarlos an der Szene im Empfangsbereich vorbei und durch die Glasschwingtür auf die Fahrstühle zu.
    Wetzon schlenderte über den weichen blaßblauen, mit cremefarbenen Lilien gemusterten Teppich zu den großen Fenstern, die einen Blick auf den New Yorker Hafen boten. Rechterhand strahlte die Freiheitsstatue auf ihrem Sockel Ruhe und heitere Schönheit aus, links lag die Wall Street, hektisches Finanzzentrum der Welt.
    Warum trug der Mann Make-up, um sich ein älteres Aussehen zu geben? Denn genau das war es, was die graue Mischung bewirkte. Wetzon kannte das noch gut aus ihrer Zeit als Gruppentänzerin am Theater. Heute wollte doch jeder unbedingt jünger aussehen. Mitoskys Hände gehörten zu einem viel jüngeren Mann, und er trug einen falschen Schnurrbart.
    Die Telefonanlage summte, und die Empfangsdame hob ab. »Ja?« Sie hörte einen Augenblick zu und legte wieder auf. »Mr. Mitosky, Sir, der Kassierer hat jetzt Zeit für Sie. Kann ich noch etwas für Sie tun? Es ist der erste Schreibtisch links.«
    Mr. Mitosky setzte den Filzhut auf den Kopf, griff nach dem Stock und stand auf. Er schien das Nasenbluten gut überstanden zu haben, als er steif über den Flur humpelte.
    Auf dem Sofa, wo er gesessen hatte, lag ein zerknüllter Briefumschlag. Wetzon hob ihn auf und strich

Weitere Kostenlose Bücher