Eine unbeliebte Frau
großer Schwenkgrill aufgebaut, Tische und Bänke standen unter den Ästen der weit ausladenden Kastanie, und es duftete nach gegrilltem Fleisch. Bodenstein lächelte. Hier hatten sie früher sehr oft gegrillt, früher, als der alte Dr. Hansen noch gelebt hatte, und als Inka und er jung und Freunde ohne Hintergedanken gewesen waren.
»Hallo, Oliver«, Inka erhob sich von einer Bank, auf der sie neben zwei anderen Frauen gesessen hatte, und kam auf ihn zu. »Schön, dass du kommen konntest.«
»Ich habe mich über die Einladung gefreut«, erwiderte Bodenstein. »Wer ist denn der Gastgeber?«
»Wir alle«, Inka lächelte, es war ein befreites, fröhliches Lächeln.
»Dann ist das hier auch für euch alle«, Bodenstein drückte ihr die Flasche Champagner, die er noch schnell als Gastgeschenk aus dem Keller geholt hatte, in die Hand.
»Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte Inka, »komm mit. Lass uns feiern und etwas über alte Zeiten quatschen.«
Sie ergriff seine freie Hand und zog ihn mit sich. Dr. Michael Kerstner war wie verwandelt. Die dunklen Ränder unter seinen Augen waren verschwunden, sein fröhliches Lachen verjüngte ihn um zehn Jahre. Von seiner kurzen, aber folgenreichen Begegnung mit Teddy zeugte nur noch eine schmale Narbe an der Augenbraue, ansonsten hatte er sich ausgesprochen gutund schnell erholt. Kerstner begrüßte Bodenstein mit einem herzlichen Händedruck und versicherte noch einmal seine Dankbarkeit. Die kleine Marie schien kein Trauma von ihrer Entführung davongetragen zu haben. Sie spielte mit ein paar anderen Kindern im Hof und machte einen genauso glücklichen Eindruck wie ihr Vater, der eigentlich gar nicht ihr Vater war. Auch Anna Lena Döring, in Jeans und kariertem Hemd und mit offenen Haaren, war eine andere geworden. Sie wirkte entspannt und schüttelte Bodenstein lächelnd die Hand.
Er wusste, dass ihr Leidensweg ein Ende gefunden hatte, denn ihr entmannter Mann würde eine sehr lange Zeit gefilterte Luft atmen. Außer der gesamten Belegschaft der Pferdeklinik waren Kerstners Eltern und Geschwister mit ihren Kindern da, ebenso wie die Familie von Anna Lena Döring und Valentin Helfrich mit Frau. Sylvia Wagner reichte Bodenstein die Hand und zwinkerte ihm komplizenhaft zu.
»Ich habe niemandem etwas gesagt«, raunte sie ihm zu.
»Ich weiß Ihre Diskretion zu schätzen«, erwiderte Bodenstein mit einem leicht gequälten Grinsen. Hinter dem Grill stand Thordis und winkte ihm lächelnd zu. Wenig später saß Bodenstein an einem der Tische, von Thordis fürsorglich mit einem Steak und einem Krug Bier bewirtet. Während er mit gutem Appetit aß und trank, dachte er über den gelösten Fall nach. Im Laufe der Ermittlungen war er in so viele Sackgassen geraten wie nur selten zuvor. Was hatten sie nicht alles hinter dem Mord an Isabel Kerstner vermutet, welche Motive und Komplotte hatten sie erwogen! Und dann stellte sich heraus, dass es weder um gewaltige Geldsummen noch um Menschenhändler oder sonst etwas Spektakuläres gegangen war, sondern ganz profan um Eifersucht, Rache und die Vertuschung einer Straftat. Ganz nebenbei hatten Bodenstein und seine Mitarbeiter die Deckel zu allerhand Kloaken geöffnet und den Mord am Ehepaar Drescher aufgeklärt.Dazu hatten sie einen internationalen Ring von organisierten Menschenhändlern und ein ganzes Netz von Drogenkurieren enttarnt. Bodenstein erlaubte es sich, stolz auf sein Team zu sein. Nun waren die Staatsanwälte damit beschäftigt, Klarheit in die einzelnen Vorgänge zu bringen. Die Kollegen vom Dezernat für Wirtschaftskriminalität und Betrug waren im Einsatz, denn der Bankrott der JagoPharm und der Inhalt der Unterlagen, die Frau Döring Bodenstein übergeben hatte, zogen weite Kreise. Bodensteins Blick wanderte zu dem großen Holzkohlegrill, an dem drei Männer standen. Georg Rittendorf, Florian Clasing und Valentin Helfrich – die drei Freunde, Brüder einer Verbindung, die für einen Mitbruder und Freund alles getan hatten, sogar etwas höchst Ungesetzliches, ja Kriminelles. Bodenstein war fest davon überzeugt, dass es diese drei Männer gewesen waren, die Friedhelm Döring entführt und gefoltert und damit nicht nur Anna Lena das Leben gerettet, sondern auch ihren Freund Kerstner für erlittene Demütigungen und Qualen gerächt hatten. Auge um Auge, Zahn um Zahn. In diesem Augenblick wandte sich Rittendorf um, ihre Blicke trafen sich. Der Tierarzt sagte etwas zu seinen Freunden, dann kam er zu Bodenstein herüber und setzte
Weitere Kostenlose Bücher