Eine unberührte Welt
Bezugsschein zu kriegen.
Natürlich war ich nicht immer Briefträger. In meinen besseren Zeiten, in unser aller besseren Zeiten, als die Welt noch in Ordnung war, bekleidete ich den Posten des A&R-Managers bei einer der ganz großen Schallplattenfirmen: ein aufreibender Job, der zu einem nicht geringen Teil darin bestand, sich die Nächte in Kneipen und In-Lokalen um die Ohren zu schlagen auf der Suche nach Bands und Sängern, die genug drauf hatten für eine professionelle Karriere. Ich bekam eine Menge zweitklassiger Sängerinnen ins Bett, die es auf die Tour schaffen wollten, aber zu einer festen Beziehung hat es nie gelangt. Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich eine hätte unterbringen sollen in meinem High-Performance-Lebensstil.
Ich war gut in dem Job. Richtig gut. Wenn ich aufzählen würde, wen ich alles entdeckt und unter Vertrag genommen habe: Sie würden leuchtende Augen kriegen.
Ich selber wurde allerdings ziemlich nachdenklich, als ich in einer meiner wenigen ruhigen Minuten einmal alle Namen auflistete und jeweils dazuschrieb, wie viel Geld meine Company mit ihnen verdient hatte. Und mein Gehalt damit verglich.
So war ich bereit für den Sprung, als ich Don Maddison über den Weg lief. Wir machten einen Vertrag, danach kündigte ich und wurde sein Manager. So riskant, wie das jedem vorkam, war es nicht. Ich kannte die Regeln, und die Regeln sagten, das wir beide eine Menge Geld machen würden. Ich war mir da nicht nur sicher – ich wusste es.
Oder wenigstens dachte ich, dass ich es wüsste.
Don war eine neue Art Künstler, ein außergewöhnlicher Musiker, ja, ein Phänomen. Dabei war er weit davon entfernt, ein Teenie-Idol zu sein: Er war um die fünfundvierzig Jahre alt, ein Berg von einem Mann mit Händen so groß wie Schaufeln und einer Stimme so tief und voll, dass Johnny Cash oder Leonard Cohen daneben wie Kastraten geklungen hätten. Und diese unglaubliche Stimme war alles, was er brauchte.
Don war sein Leben lang durch die entlegensten Winkel der Welt gezogen, war zu Gast bei Ureinwohnern und aussterbenden Völkern gewesen und hatte sich deren Lieder und Gesänge beibringen lassen. Er beherrschte buchstäblich Zehntausende von Volksliedern, Stammesgesängen und alten Melodien auswendig. Wann immer er Geld brauchte, um weiterzureisen, stellte er sich einfach in irgendeine Ladenpassage und sang zur Gitarre, stundenlang. Dort entdeckte ich ihn auch, inmitten einer Menschenmenge, die sich um ihn versammelt hatte, ihm geradezu andächtig lauschte. Die vorderen Reihen tanzten und sangen sogar mit.
Ich war an dem Morgen verkatert und schlecht drauf, aber sogar in dem Zustand erkannte ich, was hier passierte. Wenn man so viele Sänger gesehen hat wie ich, dann weiß man, ob jemand Bühnenpräsenz besitzt oder nicht, und dieser Mann hatte sie, mehr als jeder andere. Ich starrte ihn eine ganze Weile an wie ein Maulwurf, der zum ersten Mal einen Sonnenaufgang sieht, während in mir eine ganz neue Vision meines Lebens entstand. Dann bahnte ich mir den Weg bis zu ihm, zerrte ihn ins nächste Café und nahm ihn unter Vertrag. Und ging ins Büro, um meine Kündigung zu schreiben.
Es lief von Anfang an großartig, genau wie ich es mir gedacht hatte. Die Leute hatten die künstlichen Moden der Popwelt schon lange satt gehabt, die ewig gleichen Mätzchen und infantilen Rituale, die Coverversionen von Coverversionen, und sich nach etwas Echtem, Wirklichem, Wahrhaftigem gesehnt. Don Maddison verkörperte genau das, und das Publikum strömte ihm zu wie einem Propheten.
Don sang nicht für die Leute, er sang mit ihnen. Das war sein Ding. Er machte keine Show, er machte viel mehr als das: Er bezog alle, die da waren, mit ein, machte ein Ereignis daraus, verwandelte die Menschen, die als Zuhörer gekommen waren, in Sänger. Er hat nie einen einzigen eigenen Song geschrieben – was hieß, dass wir keine Einkünfte aus Urheberrechten erzielen würden –, aber er konnte jeden beliebigen Raum auf diesem Planeten betreten – sei es einen Konzertsaal, eine verrauchte Kneipe, ein Geheimtreffen der russischen Mafia oder das Enklave einer Papstwahl –, sich ein Tamburin schnappen, zwei oder drei Zeilen eines Liedes in einer nie zuvor gehörten Sprache sprechen und eine simple Melodie summen – und fünf Minuten später sang und tanzte alles mit ihm, klatschte jeder mit den Händen und sang.
Zugegeben, ich war nie dabei, wenn die Kardinäle einen neuen Papst wählten, und auch meine Kontakte mit der russischen
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