Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
Vom Netzwerk:
Kräften über verschneite Hochebenen und durch dichten Wald zogen. Die ihm warm ins Gesicht schnaubten und ihn mit ihren kalten Schnauzen anstießen. Die ihn jeden Morgen hüpfend und springend empfingen, wenn er zum Zwinger kam.
    »Ich habe eine kleine Tochter«, sagte er laut. »Sie ist heute sechs geworden. Ich war auf ihrem Geburtstagsfest, als die Hunde ausgebrochen sind. Ich verstehe das alles nicht.«
    Seine Stimme drohte zu versagen.
    »Die werden mich hier aus dem Ort vertreiben«, flüsterte er. »Verstehen Sie, wie ernst das ist?«
    »Die Schuldzuweisung ist Sache des Gerichts«, sagte Sejer. »Aber als Hundehalter müssen Sie natürlich dafür sorgen, dass Ihre Hunde nicht frei herumlaufen.«
    »Und das habe ich immer getan!«, schrie Schillinger. »Und jetzt werde ich vielleicht alles verlieren. Ich weiß genau, was die Leute sagen werden, wenn das hier herauskommt. Sie werden verlangen, dass ich nie wieder Hunde halten darf. Sein Kind auf diese Weise zu verlieren«, stöhnte er. »Nein, das ist unerträglich. Ich kann diese Schuld nicht auf mich nehmen, das halte ich nicht aus. Geben Sie mir nicht die Schuld dafür. Es muss Sabotage sein«, sagte er. »Es war jemand hier und hat die Tür vom Zwinger geöffnet.«
    »Warum sollte jemand Ihre Hunde freilassen?«, fragte Sejer. »Das müssen Sie uns erklären.«
    »Jemand hat doch auch Skarnings Schafe von der Koppel gelassen«, sagte Schillinger. »Das war bestimmt nur zum Spaß, was weiß ich denn. Aber den ganzen Sommer über hatten wir doch immerzu Ärger. Knöpfen Sie sich doch mal den vor, der die falschen Anzeigen aufgegeben hat.«
    Sejer dachte kurz über diese Theorie nach.
    »Hat über Sie etwas in der Zeitung gestanden?«, fragte er. »Ein kurzer Artikel über Sie und Ihre Hunde vielleicht. Vor kurzem? Wie wichtig die Hunde für sie sind. Oder so etwas in der Art.«
    Schillinger überlegte.
    »Nein«, sagte er. »Das war im vergangenen Jahr. Da hatten wir am Finnmarksrennen teilgenommen und eine gute Platzierung erlangt. Da ist die Lokalzeitung gekommen und hat Fotos gemacht. Aber nicht in diesem Jahr. Warum wollen Sie das wissen?«
    »Das will ich jetzt nicht weiter ausführen«, sagte Sejer. »Aber es wäre vielleicht zu Ihrem Vorteil gewesen.«
    Am Ende dieses langen schwarzen Tages kam Sejer nach Hause und ging ins Badezimmer. Er starrte sein Spiegelbild an, sein gequältes Gesicht. Er beugte sich über das Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser auf die Haut, aber das half alles nichts. Frank sprang umher und verlangte nach Aufmerksamkeit. Sejer scheuchte ihn gereizt weg, trat nach ihm, denn Frank war ja nur ein Hund. Auf die war streng genommen kein Verlass, auf keinen von ihnen. Dann machte er mit dem kalten Wasser weiter. Aber es half nicht. Snorrason, der Rechtsmediziner, hatte angerufen, und sie hatten lange miteinander geredet. Snorrason hatte Theos Verletzungen detailliert beschrieben. »Das hätte ich mir gerne erspart«, sagte er. »Sag das nicht weiter, aber ich glaube, so etwas Schreckliches habe ich noch nie gesehen. Sogar die Knochen sind übel zugerichtet worden.«
    Sejer ging zu Bett und lag lange wach. Auf dem Bettvorleger lag Frank, sein Kuscheltier, der chinesische Kampfhund, das Raubtier mit den imposanten Eckzähnen und einer Bereitschaft zum Morden, die Sejer hoffentlich niemals erleben würde. Der Anblick des kleinen Theo, so, wie sie ihn gefunden hatten, ging ihm nicht aus dem Kopf. Er versuchte, an etwas anderes zu denken. An Schwanensee und junge Mädchen in Tüllröckchen und mit Federn in den Haaren. Und bis zu einem gewissen Grad gelang ihm das auch. In Gedanken ging er seine Laufbahn durch, seine Fälle, wie sie ihn beeinflusst hatten und was er empfunden und gedacht hatte.
    Nichts aber war vergleichbar mit diesem Fall.
    Er musste an die Postkarte mit dem Vielfraß denken, die er auf seiner Fußmatte gefunden hatte. Wenn du hierfür verantwortlich bist, dann hast du recht bekommen, dachte er.
    Das hier ist kein Spiel mehr.
    Jetzt beginnt die Hölle auf Erden.
    Und für Hannes und Wilma Bosch würde diese Hölle niemals enden.
    Er beugte sich über die Bettkante zu Frank hinunter, der auf der Matte schlief, und der friedliche Anblick des kleinen runzligen Hundes brachte ihn auf andere Gedanken. Über Leben und Tod und die Kraft der Natur. Das Wilde und Brutale, das allem Leben zugrunde liegt.
    Wenn wir einen Spaziergang machen würden, dachte er, wir beide und uns passiert etwas. Angenommen wir hätten einen

Weitere Kostenlose Bücher