Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
der Brüste mag ja ursprünglich symbolisch gemeint gewesen sein – um Marissa ihrer Weiblichkeit zu berauben –, aber sie dann an sich selbst zu schicken diente einzig und allein dem Zweck, keinen Verdacht gegen sie aufkommen zu lassen.«
»Sie lenkte die Aufmerksamkeit von sich als möglicher Täterin ab, indem sie sich selbst als Opfer inszenierte«, sagte Mendez. »Die Frau ist wirklich kaltblütig.«
»Eben, sie ist berechnend, nicht verrückt«, sagte Vince. »Deshalb war sie auch so aufgebracht, als man Haley nicht in ihre Obhut gegeben hat. Sie dachte, sie könnte, auf welche Weise auch immer, dafür sorgen, dass das Mädchen sie nicht als Mörderin identifizieren würde.«
»Ein durch und durch böser Mensch«, sagte Mendez. »Das sollte zu einem Rechtsbegriff werden. Schuldig wegen Bosheit. Eine schlichte, saubere Sache.«
»Letztlich läuft es immer auf etwas ganz Einfaches hinaus«, sagte Vince. »Selbst Mord. Jeder Mord kann auf eine einfache Formel gebracht werden: Entweder bekommt jemand nicht, was er will, oder jemand bekommt genau das, was er wollte. Enttäuschung oder Begehren.«
»Oder beides.«
Und das Ergebnis war letztlich dasselbe: ein zerstörtes Leben und zunichtegemachte Träume. Marissas Leben hatte voller Versprechungen gesteckt, die jetzt alle hinfällig waren. Sie hatte keine Gelegenheit mehr, der Welt etwas zu schenken, sei es durch ihre Kunst oder durch das Kind, das sie aufzog. Milo Bordain war eine gesellschaftliche Größe in der Stadt gewesen, sie hatte für ein halbes Dutzend Wohltätigkeitsvereine Geld gesammelt und selbst gespendet und würde eine Riesenlücke hinterlassen. Mark Foster, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, hatte seine Zukunft verspielt, weil er ein Geheimnis bewahren wollte. Und Darren Bordain, der nichts gewusst hatte von dem Mordversuch an Gina durch seinen Liebhaber oder dem Mord an Marissa durch seine Mutter, war nun, da er die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren hatte, ein emotionales Wrack.
Nur Bruce Bordain, auf den das alles letztlich zurückging, weil er seine Frau betrogen und die Träume einer jungen Frau zerstört hatte, würde aus alldem praktisch ohne einen Kratzer hervorgehen.
»Wie geht es Anne?«, fragte Mendez.
Ein Lächeln huschte über Vinces Gesicht. »Es ist erstaunlich. Man hat sie zwei Mal innerhalb kurzer Zeit überfallen und mit einem Messer traktiert, aber sie ist wie ein Stehaufmännchen. Ich habe ihr gesagt, wenn noch einmal jemand versuchen sollte, sie umzubringen, werde ich sie zu ihrem eigenen Schutz einsperren.«
»Sie hat die letzten Tage viel durchgestanden.«
»Sie macht sich mehr Sorgen um Haley, aber Haley wird die Kurve kriegen. Dafür werden wir beide sorgen.«
»Wollt ihr sie adoptieren?«
»Klar«, sagte Vince lachend. »Damit haben wir die Familiengründung aus dem Stand erledigt.«
Mendez grinste und schlug ihm auf die Schulter. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Ja, ich habe wirklich Schwein«, sagte Vince. »Wie steht es mit dir?«
»Mir ist zugetragen worden, dass Steve Morgan ausgezogen ist. Er hat Sara gesagt, dass er nie eine Affäre mit Marissa hatte. Marissa wollte wegen Sara und Wendy nichts mit ihm anfangen. Aber er hatte es versucht, und das allein zählt.«
»Und was hast du jetzt vor?«
Mendez vergrub die Hände in den Hosentaschen, lehnte sich gegen sein Auto und zuckte mit den Schultern. »Zuhören, wenn sie reden will.«
»Einen Schritt nach dem anderen, so kommt man auch ans Ziel.«
»Genau.« Mendez senkte den Kopf. »Vielleicht sollte ich jetzt gleich den ersten machen.«
104
Anne sah zu, wie Haley mit den Kätzchen, die in der Casa Leone eingezogen waren, auf dem Rasen spielte. Es ging doch nichts über eine Nahtoderfahrung, wenn man sich an den einfachen Dingen des Lebens erfreuen wollte.
»Aber warum musste all das passieren?«, fragte Wendy. »Warum müssen all diese schlimmen Dinge passieren?«
Sie saßen auf der Bank auf der Veranda, und Anne hatte den Arm um das Mädchen gelegt. Sara hatte ihre Tochter hergebracht und Anne gebeten, sie ein paar Stunden bei sich zu behalten, bis Steve seine Sachen gepackt hatte und ausgezogen war.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Anne ehrlich. »Leider gibt es nicht für alles, was passiert, eine schlichte, einfache Erklärung – egal ob es gute oder schlimme Sachen sind. Wahrscheinlich macht genau das das Leben aus: Es passiert etwas, und je nachdem, wie wir damit umgehen, stärken oder schwächen uns diese Erfahrungen.
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