Eine Zuflucht aus Rosen
Klappern der Hufe auf der Zugbrücke nach Whitehall riss Gavin aus jenen seltsam beunruhigenden Gedanken. Und dass die Frau jetzt so nahe war, bescherte ihm weitere, noch mehr beunruhigende Gedanken. Was, wenn sie sich nicht um ihn kümmern wollte? Sie war nicht dazu verpflichtet und er hatte kein Recht es von ihr zu verlangen. Er sollte derlei nicht von ihr verlangen. Sie schuldete ihm nichts und schon bald würde sie Reginald D’Orrais gehören.
Das Stirnrunzeln, welches sich zwischen seinen Brauen zeigte, musste gar fürchterlich sein, denn Thomas trabte herüber und sagte, „es scheint, dass Ihr mehr Schmerzen habt, als Ihr im Wald gezeigt habt. Gestattet mir an Eurer Stelle dafür zu sorgen, dass Rule abgerieben und in den Stall gebracht wird. Sucht Ihr Euch schnell Hilfe zur Versorgung Eurer Wunden.“
„Es geht mir gut“, entgegnete Gavin barsch, während er aus dem Sattel glitt. Clem tauchte auf und er überreichte diesem mit großer Erleichterung die Zügel. „Thomas, Ihr habt genug zu tun. Clem kann sich an meiner statt um Rule kümmern.“ Er sah seinen Untergebenen an. „Wisst Ihr, wo Madelyne ist? Es gibt etwas, dessentwegen ich mit ihr sprechen muss.“
Clem stellt sich besser auf, darum bemüht, Rule abzuhalten auf die Ställe zuzustürmen. „Mich dünkt, sie ist im Obstgarten. Zumindest hat mir das ihre Zofe erzählt, als ich diese Furie etwa vor einer halben Stunde sah.“
Gavin verkniff sich einen Kommentar zu dem für den Mann ungewöhnlich sarkastischen Ton. Stattdessen streichelte er Rule noch ein letztes Mal zum Dank dafür, dass er einen so herrlich sicheren Schritt bewiesen hatte, und sagte, „seid gedankt, Clem. Ich gehe jetzt auf die Suche nach Lady Madelyne.“
Auch wenn er zu Beginn forsch ausschritt, verlangsamte Gavin seine Schritte, als er sich dem näherte, was man als den Obstgarten kannte. Was für ein Narr war er doch, sich ihr aufzuzwingen – selbst dass ihm in den Sinn kam, sie aufzusuchen, damit sie sich um seine Bedürfnisse kümmerte. In der Tat: Warum war es ein solch selbstverständlicher, ein unbewusster Gedanke gewesen, dass er zu ihr ging? Sie schuldete ihm nichts außer Verachtung und, fürwahr, er stand viel tiefer in der Pflicht, sich um sie zu kümmern, als sie dafür zuständig war, für sein Wohlergehen zu sorgen.
Gavins Schritte versagten ihm fast, als er dann in den Garten eintrat – der in Wirklichkeit eher eine Baumgruppe war mit Bänken darin als ein echter Obstgarten. Sie würde bei Judith sitzen, vielleicht, mit ein paar anderen Damen zusammen, die nicht auf die Jagd gingen, und er würde sich ihnen daher nähern wie ein kleiner Junge mit einem zerschrammten Knie.
Ein schaler Beigeschmack kam ihm da im Mund und er wirbelte sofort herum, um zu gehen. Er würde sich Trost bei einer anderen Hofdame suchen, die vielleicht willig war solchen zu spenden. Er dachte kurz an Lady Therese, die ihn gestern Nacht im Alkoven gut und ausgiebig geküsst hatte ... aber dann zog er es vor, sich stattdessen einen Schildknappen zu suchen, der Erfahrung mit der Linderung von Kriegswunden hatte.
Er hatte zwei Schritte weg getan, in Richtung Ausgang, als er hörte, wie man seinen Namen rief. Leise fluchend drehte er sich wieder um und erblickte da Judith, die ihm von einem Apfelbaum in der Nähe zuwinkte.
„Gavin! Seid Ihr verletzt?“, fragte sie und streckte die Hand aus, um seinen Arm zu berühren.
„Nein ... nur eine kleine Wunde“, sprach er zu ihr und blickte dabei über ihre Schulter, um zu sehen, ob Madelyne ihr folgte. Dreck und Blut mussten ihm auf dem Gesicht angetrocknet sein, damit Judith auf seinen Unfall schließen konnte.
„Wenn Ihr Madelyne sucht“, sprach Judith, die jetzt seine Gedanken erriet, „sie sitzt dort hinten unter dem Birnbaum.“
„Nein, ich ... wir kehrten soeben von der Jagd wieder und ich bin schmutzig und nass.“ Er wandte sich zum Gehen, als ihm klar wurde, wie verdreckt und verschwitzt er sein musste.
„Sie sitzt mit Reginald D’Orrais beisammen“, fügte Judith ganz nebenbei hinzu. „Der ganze Hof weiß, dass er schon Morgen als ihr Verlobter bekannt gegeben wird.“
Gavin schaute sie da an, aber sie hatte sich abgewandt, um einer anderen Hofdame zuzuwinken, die an dem Gartentor vorbei in Richtung Burg eilte. Jetzt schaute Judith ihn wieder an. „Ich muss gehen, denn meine Pflicht ruft mich zur Königin, jetzt da diese wieder von der Jagd zurückgekehrt ist.“ Sie eilte fort und ließ ihn zurück, der ihr da
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