Einem Tag in Paris
Name entgleitet ihr, so leicht wie ihre Konzentration. Er redet in einem fort. Der Bus rumpelt durch belebte Straßen, Fahrgäste steigen ein und aus, drängen an ihnen vorbei. Der Geruch von Würstchen erfüllt die schale Luft, und von Zeit zu Zeit hört er auf zu reden, und sie ist gezwungen, etwas zu antworten. Das hier war früher alles so leicht, ruft sich Josie in Erinnerung. Früher konnte ich es sogar richtig gut.
»Meine Eltern hatten nicht viel Geld«, sagt sie auf Französisch zu dem Privatlehrer. Sie sprechen ausschließlich Französisch, und sie wundert sich, wie gut das geht, als könnte sie die fremdsprachigen Wörter jetzt leichter finden als die englischen. »Wir sind nie gereist. Ich habe einmal ein Buch über ein kleines Mädchen in Paris gelesen, und ich wollte dieses Mädchen sein. Daher fing ich an, Französisch zu studieren, als könnte ich alles in meinem Leben ändern, indem ich eine andere Sprache spreche.«
»Hat es denn geklappt?«
Sie sieht ihn an. »Nein«, sagt sie. »Aber ich werde es vielleicht wieder versuchen.«
»Sind Sie zum ersten Mal in Paris?«
»Ja«, lügt sie. Sie hat ihr vorletztes Studienjahr hier verbracht, aber sie ist das Reden leid. Es gibt nichts zu sagen über dieses Jahr, es sei denn, sie erzählt ihm von den Jungen, dem Sex, dem Haschisch, den Katern am nächsten Morgen.
»Sind Sie allein gekommen?«, fragt er.
»Nein«, lügt sie. »Meine Freundin Whitney verbringt den Tag in Kunstgalerien.« Sie konnte nie gut lügen, aber jetzt sprudeln ihr die Geschichten nur so über die Lippen. Whitney hasst Paris, hasst Kunstgalerien und hasst, um genau zu sein, jetzt auch Josie. »Wenn du mit ihm schläfst«, hatte Whitney am nächsten Morgen zu ihr gesagt, als Josie ihr erzählte, dass sie sich auf einen Drink mit Simon treffen würde, »dann bist du bei dieser Sache allein. Er ist verheiratet, er ist alt, und er ist der Vater deines Schülers. Ich werde da nicht mit dir mitziehen. Ich werde nicht einmal nach dem Absturz da sein.«
Der Absturz.
»Sie werden Paris lieben«, sagt der Privatlehrer mit seinem grenzenlosen Optimismus. »Dafür werde ich schon sorgen.«
Sie sieht ihn erstaunt an.
»Ich habe einen Französischlehrer engagiert. Keinen Botschafter.«
Er hört nicht auf zu lächeln. »Für diese Dienste berechne ich keinen Aufpreis.«
Sie wendet den Blick ab. Sie wünschte, er wäre weniger attraktiv, weniger bemüht. Sie würde ihn gern hassen, aber hier ist sie und folgt ihm aus dem Bus, als wäre es genau das, was sie tun will. Sie befinden sich im Herzen des quirligen Sechsten Arrondissements, am Carrefour de la Croix-Rouge, und sie bleibt unvermittelt auf dem Gehweg stehen, von Panik übermannt. Was tut sie hier eigentlich? Wie kann sie überhaupt noch einen Schritt weitergehen?
»Keine Sorge«, sagt er zu ihr. »Die Geschäfte hier sind zu teuer. Wir tun nur so, als ob.«
Tun nur so, als ob? Hat sie ihn falsch verstanden? Bis jetzt hat sie bei allem, was sie gemacht hat, seit Simon gestorben ist, nur so getan, als ob. Bei allem bis auf den tiefen, bleiernen Schlaf, in den sie jeden Abend taumelt, so als würde sie von einer Klippe stürzen.
»Ich verstehe nicht«, sagt sie.
Er nimmt sie beim Arm und lenkt sie mühelos mit dem Strom der Menschen über die Straße. Sie wundert sich, wie leicht das ist – er führt, sie geht. Gestern, ohne jemanden an ihrer Seite, stand sie über eine Stunde wie gelähmt vor dem Eingang des Friedhofs Père Lachaise. Sie wollte sehen – was denn eigentlich? Jim Morrisons Grab? Oscar Wildes letzte Ruhestätte? Schließlich wandte sie sich ab, übergab sich hinter einem Baum, fuhr mit der métro zurück zu ihrem Hotel und verkroch sich wieder in ihrem Bett.
Sie hätte nicht nach Paris kommen sollen. Sie hätte die Flugtickets wegwerfen sollen. Der Platz neben ihr im Flugzeug war leer gewesen. Simons Platz, in der Businessclass, ihre ständige Erinnerung an das, was hätte sein sollen. Champagner, Wein, lange Gespräche über Montmartre und Giverny, geflüsterte Versprechungen, vielleicht sogar eine wandernde Hand unter der Wolldecke. Stattdessen nahm sie zwei Schlaftabletten und wachte in Paris wieder auf, benommen und orientierungslos.
»Wie wär’s mit denen hier?«, fragt der Privatlehrer. Nico. Wenn sie sich an seinen Namen erinnern kann, dann kann sie sich aus dem Morast ihres Verstandes zurück nach Paris zerren. Schuhe. Er hält ihr einen türkisfarbenen Lacklederschuh vors Gesicht. Der Schuh hat einen
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