Einem Tag mit dir
Bürgerzentrum arbeitete oder Konservendosen sammelte oder mich als freiwillige Helferin in einem unserer Nationalparks meldete. Kopfschüttelnd verscheuchte ich den Gedanken, mich wenige Wochen vor meiner Hochzeit in ein Kriegsgebiet zu begeben. Ich seufzte, froh, dass ich Kitty nichts von meinen Flausen erzählt hatte.
»Du bist ja bloß neidisch«, bemerkte Kitty schließlich.
»Quatsch«, entgegnete ich und schob Norahs Brief noch tiefer in meine Tasche. Die Sonne, die hoch am Spätsommerhimmel stand, ließ den kleinen Brillanten an dem Ring an meiner linken Hand aufblitzen und erinnerte mich daran, dass ich verlobt war. Gekauft und bezahlt. »Gerard und ich heiraten in drei Wochen«, sagte ich. »Ich bin glücklich und zufrieden.«
Kitty legte die Stirn in Falten. »Möchtest du nicht etwas mehr von der Welt sehen, ehe du« – sie zögerte, als würde es ihr schwerfallen, die folgenden Worte auszu sprechen – »ehe du Mrs. Gerard Godfrey wirst?«
Ich schüttelte den Kopf. »Zu heiraten bedeutet doch nicht, Selbstmord zu begehen.«
Kitty wandte sich ab und betrachtete einen Rosenstrauch. »Aber so gut wie«, murmelte sie.
Ich seufzte und ließ mich auf der Schaukel zurücksinken.
»Verzeih mir«, flüsterte sie. »Ich möchte nur, dass du glücklich bist.«
Ich nahm ihre Hand. »Ich werde glücklich sein, Kitty. Ich wünschte, du würdest das einsehen.«
Ich hörte Schritte, und als ich aufblickte, sah ich unser Hausmädchen Maxine mit einem Tablett auf uns zukommen. Trotz ihrer hohen Absätze überquerte sie den Rasen mit sicheren Schritten und brauchte nur eine Hand, um ein vollbeladenes silbernes Tablett zu tragen. Mein Vater hatte einmal bemerkt, sie bewege sich graziös, und er hatte recht. Es war beinahe, als würde sie schweben.
»Möchtet ihr noch etwas trinken?«, fragte sie. Sie hatte eine wunderschöne Stimme und sprach mit einem starken Akzent. Ihr Erscheinungsbild hatte sich kaum verändert seit meiner Kindheit. Sie war zierlich gebaut, hatte weiche Züge, große, grüne Augen und Wangen, die nach Vanille dufteten. Ihr allmählich ergrauendes Haar trug sie zu einem strengen Nackenknoten zusammengefasst, aus dem keine einzige Strähne hervorlugte. Um ihre schmale Taille hatte sie eine blütenweiße, frisch gestärkte Schürze gebunden. Viele Familien in unserem Viertel hatten damals Dienstboten, aber wir waren die einzigen mit einem französischen Hausmädchen, eine Tatsache, die meine Mutter gern bei Bridge-Abenden hervorhob.
»Nein, danke, Maxine, wir brauchen nichts«, sagte ich.
»Aber für mich könnten Sie etwas tun«, sagte Kitty in verschwörerischem Ton. »Sie können Anne überreden, Gerard nicht zu heiraten. Sie liebt ihn nämlich gar nicht.«
»Stimmt das, Antoinette?«, fragte Maxine. Ich war fünf Jahre alt, als sie zu uns kam, und nachdem sie mich einmal gründlich gemustert hatte, hatte sie verkündet: »Du siehst nicht aus wie eine Anne, ich werde dich Antoinette nennen!« Ich fühlte mich damals sehr geschmeichelt.
»Nein, natürlich stimmt das nicht«, sagte ich hastig. »Kitty hat mal wieder ihre Anwandlungen.« Ich warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Ich habe das große Los gezogen, denn ich heirate Gerard Godfrey.«
Und ich konnte mich wirklich glücklich schätzen. Gerard war hochgewachsen und sah unglaublich gut aus mit seinem markanten Kinn, dem dunklen Haar und den braunen Augen. Außerdem war er ziemlich wohlhabend – nicht dass mir das etwas bedeutet hätte. Aber meine Mut ter erinnerte mich immer wieder daran, dass er mit sieben undzwanzig der jüngste Vizepräsident war, den die First Marine Bank je gehabt hatte, was bedeutete, dass er ein Vermögen verdienen würde, sobald er den Posten seines Vaters übernahm. Keine Frau, die ihre fünf Sinne beisam menhatte, würde einen Heiratsantrag von Gerard Godfrey ablehnen, und als er unter ebendiesem Walnussbaum um meine Hand angehalten hatte, hatte ich, ohne zu zögern, genickt.
Meine Mutter war außer sich vor Glück gewesen, als ich ihr die Neuigkeit berichtet hatte. Natürlich hatten sie und Mrs. Godfrey die Ehe schon geplant, als ich noch in den Windeln lag. Die Calloways vermählten sich mit den Godfreys. Es war wie ein Naturgesetz.
Maxine füllte unsere Gläser mit frischem Eistee.
»Antoinette«, sagte sie langsam, »habe ich dir jemals die Geschichte von meiner Schwester Jeannette erzählt?«
»Nein«, antwortete ich. »Ich wusste nicht mal, dass du eine Schwester hast, Maxine.« Mir wurde
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