Eines Abends in Paris
Erst letzte Woche quengelte ein kleiner dicklicher Junge an der Hand seiner Mutter herum, weil die Vorstellung, zwei Stunden in einem Sessel zu sitzen und Der kleine Nick anzuschauen, ohne sich dabei etwas in den Mund zu stopfen, offenbar unerhört war.
»Kein Popcorn? «, wiederholte er fassungslos und verdrehte seinen Hals, um nach einer entsprechenden Glasvitrine Ausschau zu halten.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, hier gibt es nur Filme.«
Auch wenn mir diese Antwort immer einen gewissen Triumph bereitet, mache ich mir doch manchmal Sorgen um die Zukunft meines Kinos.
Nach meiner Rückkehr aus Lyon hatte ich einiges Geld in die Renovierung des Cinéma Paradis gesteckt, die bröckelnde Fassade war ausgebessert und gestrichen worden, der alte Teppich wurde erneuert, die weinroten Kinosessel gereinigt und die Technik insoweit aufgerüstet, dass ich neben den alten Filmrollen nun auch digitale Filme abspielen konnte. Ich hatte einen gewissen Anspruch, was die Auswahl meines Programms anging, der sich zwangsläufig nicht immer mit dem Geschmack der Massen deckte.
François, ein Student der Filmhochschule, half mir bei den Vorführungen, und Madame Clément, eine ältere Dame, die früher im Printemps gearbeitet hatte, saß abends an der Kasse, wenn ich es nicht selbst war, der die Karten verkaufte.
Als ich das Cinéma Paradis wieder eröffnete, kamen viele, die das Kino noch von früher kannten. Und auch viele, die neugierig geworden waren, weil die Neueröffnung einigen Zeitungen doch eine kleine Meldung wert gewesen war. Die ersten Monate liefen gut an, dann kamen Zeiten, in denen der Kinosaal nur zur Hälfte gefüllt war, wenn überhaupt. Oft genug machte mir Madame Clément ein Zeichen, um anzuzeigen, wie viele Zuschauer wir am Abend hatten – manchmal reichten dafür zehn Finger.
Nicht dass ich geglaubt hätte, ein kleines Kino sei eine Goldgrube, aber meine Ersparnisse waren ziemlich zusammengeschmolzen und ich musste mir etwas überlegen. So kam ich auf die Idee, jeden Mittwochabend eine zusätzliche Spätvorstellung zu geben – mit jenen alten Filmen, die mich früher so begeistert hatten.
Das Besondere an diesem Konzept war, dass die Filme wöchentlich wechselten und dass es allesamt Liebesfilme waren, wenn auch im weiteren Sinne. Ich gab dem Ganzen den Namen Les Amours au Paradis und freute mich, als die Spätvorstellungen am Mittwoch sich zu füllen begannen. Und wenn ich an diesen Abenden nach dem Abspann die Türen des Kinosaals öffnete und die Liebespaare sah, die eng aneinandergeschmiegt und mit glänzenden Augen das Kino verließen, einen Geschäftsmann, der vor lauter Beschwingtheit seine Aktentasche in den Stuhlreihen vergaß, oder eine alte Dame, die auf mich zukam, die mir persönlich die Hand schütteln wollte und mir mit sehnsüchtigem Blick erklärte, dass dieser Film sie an die Zeit erinnerte, als sie noch jung war, wusste ich, dass ich den schönsten Beruf der Welt hatte.
An diesen Abenden lag ein ganz besonderer Zauber über dem Cinéma Paradis. Es war mein Kino, das den Menschen Träume schenkte, so wie es Onkel Bernard immer gesagt hatte.
Doch seit die junge Frau im roten Mantel mittwochs in die Spätvorstellung kam und mir jedes Mal, wenn sie an die Kasse trat, ein schüchternes Lächeln zuwarf, war ich selbst es, der anfing zu träumen.
4
»Was meinst du damit, du hast sie noch nie gefragt? Wie lange kommt sie denn schon in dein Kino?«
Mein Freund Robert wippte ungeduldig auf seinem Stuhl. Wir saßen draußen im Café de La Mairie, einem kleinen Café, das links neben der Saint-Sulpice-Kirche liegt, und obwohl es erst März war und das Wetter in den vergangenen Wochen eher regnerisch gewesen war, brannte die Sonne auf unsere Gesichter.
Wenn wir uns mittags treffen, will Robert immer ins Café de La Mairie, weil es dort angeblich die beste Vinaigrette für seinen geliebten Salade Paysanne gibt, die in eigens dafür abgefüllten Glasfläschchen auf den Tisch gestellt wird.
»Nun ja …« Ich sah zu, wie er mit einem Schwung das ganze Fläschchen über dem Salat leerte. »Ich würde sagen, das Ganze geht seit Dezember.«
Mein Freund warf mir einen überraschten Blick zu. »Das Ganze? Wie meinst du das jetzt wieder? Also läuft denn was zwischen euch oder nicht?«
Ich schüttelte den Kopf und seufzte. Für Robert ist die erste und einzig entscheidende Frage, ob »etwas läuft« zwischen einem Mann und einer Frau. Der ganze Rest interessiert ihn nicht. Er ist
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