Einfach hin und weg
Menschen die man erst seit ganz kurzer Zeit kennt. Das gibt es nur auf dem Camino!
Fast 7 Stunden brauche ich heute für die 24 km. Ich habe mir viel Zeit genommen und genieße sie in vollen Zügen.
In der Herberge treffe ich Günther und ein junges Pärchen aus Landshut, das erst heute einsteigt. Mit Alice und den anderen bilden wir eine lustige Truppe, für die ich am Abend koche. Es gibt Spaghetti und einen Riesentopf Gemüsesauce, verfeinert mit ½ l Sahne und Parmesankäse. Alles wird gegessen bis auf den letzten Löffel. Den isst die kleine Hong aus Korea, die mir ganz fasziniert beim Kochen zuschaut. Tun das koreanische Männer etwa nicht? Ihre Mutter und ihre Freundin Seonghee haben sich jedenfalls nicht geäußert.
Hong schenkt mir einen kleinen Stoffbeutel aus Korea. Daraufhin gebe ich ihr ein vierblättriges Kleeblatt.
14.06.2007 Vega de Valcarce - La Faba - O Cebreiro - Fonfría
Morgens werde ich um 6 Uhr wach vom Rascheln der Plastiktüten. Denke ich, aber es ist der Regen, der gleichmäßig vor das Fenster prasselt. Das fehlt noch! Gestern Abend hatte es schon dicke schwarze Wolken am Himmel gegeben und es sah nicht gut aus. Einige sind tatsächlich schon um diese Uhrzeit reisefertig und machen sich trotz der Wasserfluten auf den Weg. Ein Blick zum Himmel genügt um festzustellen, dass es in den nächsten Stunden nicht aufhört.
Wir hatten gestern nicht nur für das Abendessen eingekauft, sondern auch die Zutaten für ein gutes Frühstück. Also setzen wir uns gemütlich an den großen Tisch und trinken heißen Tee und Kaffee auf der überdachten Terrasse. Dicke Wurst- und Schinkenbrote machen die Runde und der Regen ist uns furchtbar egal! Wir beschließen, den Tag als Ruhetag zu verbringen.
Eine Stunde später klart es etwas auf, der Niederschlag lässt nach. Wir pfeifen auf den Ruhetag und machen uns auf die Socken. Es ist kalt. Also T-Shirt und ein warmes Hemd angezogen, darüber den Anorak. Als Schutz vor Nässe noch ein wasserdichtes Cape. Das sollte reichen.
Nach einer Stunde läuft der Schweiß. Der Umhang ist luftundurchlässig und viel zu warm. Ich lasse den Anorak weg und laufe im T-Shirt mit Cape. Wenige Minuten später bin ich nass bis auf die Haut, kann mir aber nichts anderes mehr anziehen, da alles feucht ist. Es ist kalt und es regnet und regnet.
Es geht bergauf nach O Cebreiro, einem Ort inmitten von Bergen in 1.300 m Höhe. Das Wasser läuft in Bächen den Weg hinunter. Gott sei Dank konnte ich heute die Wanderstiefel wieder anziehen, ohne jegliche Beschwerden. Bei den Sandalen würde das Wasser vorne rein und hinten wieder herauslaufen. Es ist anstrengend, und ich stemme mich gegen Wind und Wasser.
Alice macht Pause in La Faba. Ich gehe weiter. Erst später wird mir bewusst, was ich versäumt habe.
In La Faba gibt es eine Herberge, die von einem schwäbischen Unternehmer gesponsort wird. Jeder Pilger, der ein Gedicht von einem schwäbischen Dichter rezitieren oder ein Lied eines schwäbischen Komponisten singen kann, erhält freie Logis für eine Nacht. Wie gerne hätte ich ein Gedicht von Uhland, Mörike oder Schiller aufgesagt. Die Herberge passte zwar nicht als Übernachtungsstätte in meine Etappe, aber es wäre ein Spaß gewesen.
So nähere ich mich O Cebreiro. Der Regen lässt etwas nach und die Wolken ziehen ein wenig höher. Berggipfel werden sichtbar, auf der einen Seite erkämpfen sich ein paar Sonnenstrahlen ihren Weg. Und dann beginnt ein Schauspiel der Naturgewalten, wie ich es bisher noch nie gesehen hatte.
Der Wind weht orkanartig aus verschiedenen Richtungen und türmt gewaltige Wolkenberge auf, Nebelschwaden kriechen an den Felsenrücken entlang, bis sie von den Bäumen verschluckt werden. Für Sekunden taucht die Sonne alles in gleißendes Licht, um dann wieder hinter Wolkenbildern zu verschwinden, die lange Schatten in das Tal werfen. Eine Symphonie aus Farben und Licht, leicht bedrohlich, aber faszinierend. Das Farbenspiel wechselt im schnellen Takt vom Grau des Himmels zum satten Dunkelgrün der Wiesen und Wälder. Beim Auf reißen der Wolken scheint die Welt in goldenem Glanz zu versinken.
Und ich stehe, auf Henriette gestützt, mitten im Regen auf 1.200 m Höhe und fühle mich zwischen Erde und Himmel. Dabei dem Himmel ein wenig näher und auch dem lieben Gott. Ich fühle die wunderbare, gewaltige Kraft der Natur, die Kraft der Schöpfung.
Ich weiß wirklich nicht wie lange ich dort gestanden habe. Irgendwann lässt der Regen nach, die
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