Einfach hin und weg
Kostet € 40.-. Mit 5 Personen teilen wir uns ein Bad. Ein kleines Loch, zwar sauber, aber eigentlich vollkommen überteuert. Ein wenig beschleicht mich das Gefühl, dass der Camino in St-Jean-Pied-de-Port kommerziell vermarktet wird und den Pilgern das Geld auf jede Art und Weise aus der Tasche gezogen wird. Bin mal gespannt, wie es weiter geht.
Den Rest des Tages nutze ich noch für einen Spaziergang und genieße die Altstadt und die schöne Landschaft. Kaum genieße ich, fängt es an zu gießen und in wenigen Augenblicken sind Berge und Landschaft in Nebel und Grau verschwunden. Es gießt und gießt und bei meiner Frage im Pilgerbüro, wie es denn morgen wohl aussieht, bekomme ich die Antwort, ich könne morgen bei diesem Nebel nicht über die Pyrenäen wandern, sondern solle lieber die Straße und eventuell einen unteren Weg nehmen.
In der Kirche zünde ich eine große Kerze an, denke an meine Mutter, die heute vor 5 Jahren starb, denke an meinen Vater, an Brigitte und viele andere, die mir lieb sind. Ich bitte den lieben Gott um seinen Segen und fange irgendwann an zu weinen. Der anschließende Gang über den Friedhof tut gut und beruhigt. Hatte mir doch schon am Vormittag einer der ehrenamtlichen Helfer auf meine Frage nach dem Wetter gesagt: „Machen Sie sich keine Sorgen! Ab jetzt sind Sie Pilger und Sie müssen Gottvertrauen haben. Er passt schon auf Sie auf!“
Also gut, ich vertrau dem lieben Gott, lege mich ins Bett und hoffe, dass ich gut schlafe. Morgen früh ist um 6.30 Uhr wecken und eine Stunde später Aufbruch zur ersten großen Etappe. Die schwierigste auf der ganzen Strecke, wie man berichtet. 29 km bergauf und bergab, meist jedoch bergauf. Hoffentlich bei besserem Wetter.
Ich hab Gottvertrauen!!
21.05.2007 St.-Jean-Pied-de-Port - Roncesvalles
Trotz Einzelzimmer kann ich nicht schlafen. Morgens um 4 Uhr ist mir so übel, dass ich ernsthaft überlege, alles hinzuschmeißen und wieder nach Hause zu fahren. Von der gestrigen Euphorie ist nichts, aber auch nichts geblieben.
Zwei Stunden später stehe ich auf, zerschlagen und mit Kopf- und Magenschmerzen. Doch Reise- oder Wanderfieber? Für den Kopf sind 800 km wohl doch eine Menge Holz und müssen erst einmal verarbeitet werden. Das hat meiner anscheinend noch nicht so richtig getan. Also muss ich ihm noch ein paar Mal erzählen, dass es gar nicht sooo schlimm ist.
Nach einer Scheibe Toast und einem Orangensaft schnalle ich den Rucksack auf den Buckel, lege den Brotbeutel um den Hals und ziehe einfach los. Mit schlotternden Knien.
Ich bin heilfroh, dass Renée mich am Vorabend gefragt hatte, ob wir nicht zusammen die erste Etappe laufen könnten. Eigentlich wollte ich alleine gehen, aber jetzt bin ich erleichtert, dass sie mitkommt, und das sage ich ihr auch.
Trotz des schlechten Wetters mit Wolken bis ins Tal gehen viele den Kletterweg über die Pyrenäen.
Über die Straße ist es etwas leichter, aber auch weiter. Auf dem Berg beträgt die Sicht keine 5 m, und mir ist es einfach zu gefährlich. Um nichts zu übertreiben, nehmen wir den Straßenweg nach Roncesvalles. Und der vermeintlich einfachere Weg kommt meinem Zustand entgegen.
Um 7.30 Uhr brechen wir auf. Wir wandern durch das „Spanische Tor“ aus der Stadt, dem Tor, durch das schon seit Jahrhunderten die Pilger in Richtung Santiago ziehen. Ein tolles Gefühl, auch wenn es mir gar nicht so toll geht. Ich bin von Anfang an ziemlich groggy nach der katastrophalen Nacht. Gott sei Dank hat es in der Zwischenzeit aufgehört zu regnen.
Der Weg führt über die Straße, zum Teil auf Nebenwegen durch wunderschöne Landschaften. Es geht bergauf und bergab. Nach drei Stunden kommt die erste Krise. Feuchte Hände und Gleichgewichtsstörungen, als ob ich zu viel, viel zu viel Alkohol getrunken hätte. Ich sehe nur noch verschwommen und habe einen Drall, der mich immer wieder nach rechts haut. Ich kann mich kaum noch aufrecht halten und dann reißt es mir die Beine weg. Das ist mir im Leben noch nicht passiert. Ich brauche dringend eine Pause.
Renée packt Brot, Käse und Honig aus, dazu noch ein paar Nüsse. Von mir gibt es Müsliriegel und einen Apfel. Nach der Stärkung geht es etwas besser und nach weiteren zwei Stunden ist der Spuk vorbei.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich Angst hatte, einen Schlaganfall bekommen zu haben.
Grundlose Sorgen? Nach der Rückkehr konnte mir kein Arzt eine genaue Diagnose geben. Kreislaufstörungen waren eine Möglichkeit. Auf jeden Fall war
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